■ Bücher.klein
: Markt im Kopf

Der Schwerpunkt des vorliegenden Lateinamerika-Jahrbuches führt diesmal ins Reich der Ideologien. Im Gegensatz zu vorangegangenen Jahrbüchern geht es nicht in erster Linie darum, wie die Wirtschaftspolitik in Lateinamerika durchgesetzt wird, sondern um die Frage, wie der „Markt“ in die Köpfe auch fortschrittlicher Intellektueller kam. Wie aus einem ursprünglichen Wirtschaftsprogramm ein gesellschaftlicher Entwurf, eine Doktrin werden konnte. Dem widmen sich insgesamt acht Beiträge, wobei deutsche und lateinamerikanische Autoren zu Wort kommen. Urs Müller-Plantenberg etwa weist anhand der Positionspapiere der Cepal (UNO- Wirtschaftskommission für Lateinamerika) nach, daß dort bereits eine Übernahme neoliberaler Grundpositionen stattgefunden hat. Von der klassisch-neoliberalen Argumentation unterscheidet sie sich lediglich dadurch, daß wirtschaftliche Grundprinzipien mit vor allem sozialen Zielen (sozialer Ausgleich, Ausbau des Bildungs- und Ausbildungssystems, Umweltverträglichkeit von Entwicklung etc.) verknüpft werden. Für Müller-Plantenberg ist der Cepal-Ansatz angesichts fehlender Alternativentwürfe unterstützenswert.

Aus einer anderen Perspektive heraus wendet sich Wolfgang Gabbert gegen die These, daß eine konsequent durchgeführte neoliberale Wirtschaftspolitik immer einhergehe mit der Abschaffung der Sozialpolitik. Am Beispiel Mexikos erläutert er, daß trotz Staatsabbaus und Privatisierung selbst die Armen in bestimmten Sektoren nicht zu kurz gekommen sind. Rainer Dombois hingegen zeigt am Beispiel Kolumbien, daß mit zunehmender neoliberaler Politik eine Entmachtung und Ausgrenzung der Gewerkschaften verbunden ist. Ein Gegenbeleg also für eine von den Apologeten der Marktwirtschaft gern vertretene These, eine anständige Marktwirtschaft trage auf jeden Fall zur Konzertierung der Sozialpartner bei.

Herausragend sind die Beiträge von Juan Gabriel Valdés und Franz J. Hinkelammert. Valdéz stellt am Beispiel Chiles dar, wie die Doktrin des Neoliberalismus reüssierte. Dafür braucht er keine Verschwörungstheorien. Vielmehr benennt er klar die Verbindungen, die die Militärs zu Personen der Chicago-Schule hatten, und wie sie diese nutzten, um deren Ideen in die chilenische Gesellschaft zu implantieren. Hinkelammert vertritt eindrucksvoll die These der strukturellen Symmetrie von Neoliberalismus und Stalinismus. Beide stellten sich selbst als einzig machbare gesellschaftliche Konzeptionen dar, obwohl es Alternativen zu diesen Zwangssystemen gebe. Seine Schlußfrage ist daher auch: Wie kriegt man den Markt wieder aus den Köpfen heraus? Jutta Illert

Lateinamerika: Analysen und Berichte 17, „Markt in den Köpfen“. Horlemann 1993, 276 S., 29,80 DM