Erben bringt immer noch mehr als arbeiten

■ Scherze zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen immer größer / Versuche der Umverteilung stoßen auf Probleme

Berlin (taz) – Wer hat, dem wird gegeben, wer aber nur arbeitet, bleibt in der Fron. Der alte Spruch könnte derzeit wieder neue Bedeutung erlangen. „Die Schere zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen wird sich in Zukunft weiter öffnen“, stellt Meinhard Miegel fest, Leiter des Instituts für Wirtschafts- und Gesellschaftsforschung (IWG) in Bonn. „Wer heute bereits Kapitalvermögen hat, dürfte es sichtlich mehren. Wer noch keines hat, dem dürfte es schwerer als bisher fallen, eines zu bilden.“

Anders gesagt: bei sinkenden Realeinkommen können Arbeitnehmer nur noch wenig beiseite legen. Die Sparquote in Westdeutschland ist im vergangenen Jahr gesunken. Wer aber Kapital angelegt hat, profitiert von guten Renditen. Das sind vor allem die Selbständigen. Sie konnten schon in den Jahren der Hochkonjunktur erheblich höhere Gewinne verbuchen als Arbeitnehmer Steigerungen bei den Löhnen. Die Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen stiegen von 1982 bis 1991 im Schnitt um 123 Prozent, während die Arbeitnehmer lediglich um 44 Prozent zulegten, meldete das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Erst im vergangenen Jahr fielen die Gewinne im Zuge der Rezession erstmals schwächer aus als die Lohnsteigerungen.

Doch Unternehmer und Freiberufler haben beizeiten vorgesorgt – und kassieren kräftig Zinsen. Nach Berechnungen des DIW bezog ein westdeutscher Selbständigen- Haushalt (ohne Landwirte) im vergangenen Jahr im Durchschnitt 21.000 Mark an Zinseinkünften vor Steuern. Ein Angestellten- Haushalt dagegen kam auf 6.000 Mark, Arbeiterfamilien auf 3.470 Mark an Zinsen. Selbständige müssen mit ihrem Geldvermögen allerdings auch für das Alter vorsorgen.

Die Westdeutschen sind reich, ein Privathaushalt verfügt über 119.000 Mark – aber nur im rechnerischen Durchschnitt. Denn Geld ist nicht gerecht und das gilt für Vermögen noch mehr als für Einkommen. So besitzt das wohlhabende Viertel der westdeutschen Haushalte über 70 Prozent des Geldvermögens, erzielt aber nur 41 Prozent der Einkommen, hat das IWG errechnet. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung dagegen darf nur fünf Prozent des Geldvermögens ihr eigen nennen, obwohl sie immerhin noch 28 Prozent der Einkommen mit nach Hause bringt.

Die Welle an Erbschaften macht die Sache kaum gerechter. Schätzungsweise 100 Milliarden Mark werden jährlich vererbt, Tendenz steigend. Die Kriegsgeneration, die in den Dekaden seit 1950 das durchschnittliche Haushaltsvermögen real versechsfachte, stirbt allmählich aus und gibt den sorgsam gehorteten Besitz jetzt an den Nachwuchs weiter. Jede vierte Erbschaft dürfte 200.000 Mark, jede fünfte sogar 400.000 Mark bringen, schätzt das IWG. „Die Erbschaften verteilen sich auf mehrere Einkommensschichten“, sagt Stefanie Wahl vom IWG. Denn oftmals hat es der Vater zwar weit gebracht, nicht aber mehr der Sohn.

Für die Erben ist der Vermögenszuwachs aus den Kapitaleinkünften dann oft größer als die Ersparnisse durch Arbeitseinkommen. Und das Vermögen hat noch einen weiteren Vorteil. Es kann nicht so leicht vom Staat durch Abgaben angezapft werden. Beispiel Zinsabschlagsteuer, dem Generalangriff auf Kapitaleinkünfte: Viele Vermögende weichen hier durch simple Flucht über die Grenzen aus. Auf 330 Milliarden Mark schätzte unlängst Klaus Altehoefer von der Oberfinanzdirektion Freiburg die seit 1991 ins Ausland transferierten Summen. Geschätzter Ausfall bei der Zinsabschlagsteuer: jährlich 13 Milliarden Mark.

3,6 Billionen Mark besitzen die deutschen Haushalte insgesamt, 201 Milliarden Mark kassierten sie im vergangenen Jahr an Zinsen und Dividenden (vor Steuern). Kein Wunder also, daß Bündnis 90/Grüne und auch die SPD vorsichtige Anläufe unternehmen, hier doch ein wenig anzubohren. „Eine höhere Erbschaftssteuer wird zu unserem wirtschafts- und sozialpolitischen Programm für die kommende Bundestagswahl gehören“, sagt Wolfgang Bayer, Wirtschaftsreferent in der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen. Auch SPD-Wirtschaftsvordenker Oskar Lafontaine möchte bei der noch vergleichsweise niedrigen Erbschaftssteuer „etwas tun“.

Weil höhere Abgaben beim Vermögen aber aller Wahrscheinlichkeit nach die Tendenz zur Kapitalflucht verstärken, träumt Lafontaine von einer höheren Besteuerung vor allem immobiler Werte. Haus und Grund werden bisher nur nach dem Einheitswert, einem Bruchteil des Verkehrswertes, versteuert. Bei einer anderen Berechnung würden die Steuern in die Höhe schnellen. Der Widerstand breiter Wählerschichten ist Lafontaine jedoch gewiß, denn gerade das immobile Vermögen ist breiter gestreut. So verfügt nach Auskunft des IWG sogar die ärmere Hälfte der Westdeutschen immerhin noch über 27 Prozent des Haus- und Grundbesitzes. Wer an der Oma ihr klein Häuschen rangeht, kommt politisch nicht ungestraft davon. Barbara Dribbusch