Freispruch im Sachsenhausen-Prozeß

■ Gericht bezweifelt die belastenden Aussagen der Angeklagten im Polizeiverhör

Potsdam (taz) – „Im Zweifel für den Angeklagten waren die Beteiligten freizusprechen.“ Mit diesem Urteil endete nach vierzehn Verhandlungstagen gestern in Potsdam der Prozeß gegen zwei 20 und 22 Jahre alte Männer, die verdächtigt worden waren, den Anschlag auf die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen verübt zu haben. Im Herbst letzten Jahres wurde die Baracke 38 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers niedergebrannt.

Mit seinem Urteil entsprach Richter Przybilla den Anträgen der Verteidigung, die bereits am Donnerstag abend auf Freispruch plädiert hatten. Die Staatsanwaltschaft hatte für Ingo K. eine Jugendstrafe von drei Jahren und für Thomas H. vier Jahre und sechs Monate Haft gefordert. Die Staatsanwaltschaft kündigte an, wahrscheinlich gegen das Urteil in Revision zu gehen.

Bundeskanzler Kohl hatte nach dem Anschlag verkündet, daß die rechten Täter „unnachsichtig verfolgt würden und die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen“. Von diesem Versprechen ist nach dem gestrigen Urteilsspruch – in dubio pro reo – nicht viel geblieben.

Das gesamte Verfahren war geprägt von Pannen der Verfolgungsbehörden – die Hinweisen nicht nachgingen und über Monate mit nur zwei Beamten ermittelten – und Milde des Gerichtes. Beide Angeklagte hatten bei ihrer ersten polizeilichen Vernehmung Ende März unabhängig voneinander übereinstimmende und detaillierte Aussagen getätigt. Sowohl Ingo K. als auch Thomas H. erzählten, im Herbst letzten Jahres gemeinsam mit einer Gruppe von Berliner Skins mit der S-Bahn zum Bahnhof Oranienburg gefahren zu sein, dort Benzin aus einem Moped in Bierflaschen abgefüllt zu haben und schließlich laut grölend durch Oranienburg in Richtung Gedenkstätte marschiert zu sein. Beide hatten ihre Aussagen kurz nach der Vernehmung widerrufen. Doch sie sind schriftlich festgehalten, die Tonbänder wurden dem Gericht sogar vorgespielt. Und die Aussagen waren Grundlage für die Anklage der Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf lautete auf Brandstiftung, Zerstörung öffentlicher Denkmäler und unerlaubten Waffenbesitz. Beide Angeklagten standen zur Tatzeit nach Einschätzung von Staatsanwalt Picard nicht unter erheblichem Alkoholeinfluß. Immerhin mußten sie einen langen Fußmarsch bis zur Gedenkstätte zurücklegen, den Sicherungszaun überklettern und schließlich noch den Weg zur Baracke finden. Eine Schuldmilderung wegen Trunkenheit kam für Picard nicht in Frage.

Rechtsanwalt Wendland hatte in seinem Plädoyer ganz auf ein psychiatrisches Gutachten gesetzt, das seinen Mandanten Ingo K. als „mittelgradig debil und schwachsinnig“ beurteilt hatte. Schwachsinn plus Alkohol ist Schuldunfähigkeit, so rechnete Wendland und beantragte den Freispruch. Detlef Knoch, der Thomas H. verteidigte, mühte sich in seinem Vortrag, dem Gericht plausibel zu machen, weshalb H. vor der Polizei ausgesagt hat. Er sei müde gewesen und wollte es den Beamten recht machen. Seine Ausführungen überzeugten nicht, entsprachen aber der Einschätzung des Gerichtes. Der Senat war von der Glaubhaftigkeit der polizeilichen Aussage nicht überzeugt. Der Richter war der Ansicht, daß die beiden Angeklagten, „um der Prenzlauer-Szene zu imponieren, falsche Geständnisse abgelegt“ hätten. Im Ergebnis bleibt, daß wohl keine Schuldigen mehr gefunden werden und die Tat nicht aufgeklärt wird. Nach Urteilsverkündung meinte Ingo K.: „Ich habe eine Haftstrafe erwartet. Ich werde jetzt aus der rechten Szene austreten und mich um meine Familie kümmern.“ Anja Sprogies