EG zieht den Bauern den Boden weg

Wegen eines Rechenfehlers sollen die Landwirte in den neuen Bundesländern 1994 rund ein Viertel der Anbauflächen stillegen / Heute EG-Agrarministertreffen in Luxemburg  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Beim EG-Agrarministertreffen heute in Luxemburg wird ein Streit die Luft verpesten. Die Aufforderung des deutschen Landwirtschaftsministers an die neuen Bundesländer, sich den Beschlüssen der EG-Kommission zu widersetzen, läßt vermuten, daß die Sache wirklich ernst ist. Auch Jochen Borchert weiß genau, daß er damit vor allem den Bauernzorn auf die Europäische Gemeinschaft schürt. Und wie schwer zornige Bauern wieder einzufangen sind, kann jeder an den bäuerlichen Anti-Europa-Ausschreitungen in Frankreich sehen.

Aber der Bundeslandwirtschaftsminister steht mit dem Rücken dicht zur Wand. Wenn der EG-Beschluß vom letzten Donnerstag umgesetzt wird, müssen die Landwirte in den neuen Bundesländern im nächsten Jahr rund ein Viertel der Anbauflächen brachliegen lassen. In Mecklenburg-Vorpommern müßte sogar ein Drittel stillgelegt werden. Daß darüber hinaus noch 180 Millionen Mark an Strafzahlungen wegen Flächenüberschreitung fällig sind, ist daneben fast zu vernachlässigen.

Die EG-Kommission, die für die Umsetzung des komplizierten Regelwerkes zuständig ist, zeigt sich bisher wenig kompromißbereit. Allenfalls will sie über eine geringfügige zeitliche Streckung der Stillegungen mit sich reden lassen. Und auch die Landwirtschaftsminister der zwölf Mitgliedsstaaten, die für das Regelwerk verantwortlich sind, sind mehrheitlich gegen eine Ausnahmeregelung für Ostdeutschland. Denn die drastische Anbaubeschränkung beruht nicht auf einem Willkürbeschluß der EG-Bürokratie, sondern auf Berechnungen, an denen seinerzeit auch die Bundesregierung beteiligt war.

Mit dem Ablauf der dreijährigen Übergangsperiode gelten für die neuen Bundesländer dieselben Spielregeln wie für alle anderen EG-Gebiete. Das heißt unter anderem, daß im nächsten Jahr die Anbaufläche für EG-geförderte Produkte um 15 Prozent reduziert werden muß. Das haben die Landwirtschaftsminister bei der Agrarreform 1992 so beschlossen, um die Überschüsse abzubauen.

Aber für Ostdeutschland kommt dazu, daß die gesamte Anbaufläche falsch eingeschätzt wurde. Weil die Landwirtschaft unter DDR-Bedingungen ganz anders aussah als unter EG-Bedingungen, wurde über den Daumen gepeilt, wie sich die DDR-Landwirtschaft entwickeln würde. Zum Beispiel wurde in der DDR vergleichsweise wenig Getreide angebaut, dafür aber riesige Mengen an Kohl und Kartoffeln. Da die EG für Kohl und Kartoffeln keine Zuschüsse zahlt, war zu erwarten, daß auf den Kohläckern bald Weizen und andere nützliche Sachen angepflanzt würden, von denen es zwar zuviel gibt, für die man aber Subventionen aus Brüssel bekommt. Das hätte vorausberechnet werden müssen, damit die LPG-Bauern künftig nicht schlechter dastehen als ihre Kollegen in anderen Teilen der Gemeinschaft.

Da ist einiges schiefgelaufen. Insgesamt werden zur Zeit 350.000 Hektar mehr mit EG-gefördertem Weizen, Mais oder mit Sonnenblumen bebaut, als die über den Daumen gepeilte Prognose der Bundesregierung vorhersah. Im Durchschnitt sind es 10 Prozent, die nach EG-Recht illegal kultiviert, deshalb mit Strafzahlungen belegt und im nächsten Jahr zusätzlich stillgelegt werden müssen. In Mecklenburg-Vorpommern hat das Landwirtschaftsministerium sogar 17 Prozent zuwenig Anbau vorhergesagt, die nun zusätzlich zu den 15 Prozent aus der Agrarreform abzubauen sind.

Die Bundesregierung pocht auf eine Korrektur. Die ohnehin durch den Strukturumbau gebeutelten landwirtschaftlichen Betriebe in Ostdeutschland dürften nicht auch noch durch einen „Rechenfehler“ bestraft werden, wie der Landwirtschaftsminister immer wieder betont – und dabei offenläßt, wer sich da verrechnet hat.

Man könnte vielleicht auch von einem Verhandlungsfehler sprechen. Denn 180.000 Hektar, also mehr als die Hälfte der zuwenig eingeplanten Flächen, sind Äcker, auf denen Silo-Mais steht. Bei den Verhandlungen war ursprünglich vorgesehen, Silo-Mais nicht zu fördern und damit auch nicht in die Flächenberechnung aufzunehmen. Als Mais dann in letzter Sekunde doch wieder in die EG-Subventionsliste kam, hatte die bundesdeutsche Delegation dafür keine Prognosen, sondern nur die überholten Anbauzahlen aus DDR- Zeiten parat. Und Mais wurde in der DDR nur ganz wenig angepflanzt, weil andere Futtermittel bevorzugt wurden.

Die anderen Rechenfehler wurden bei der Erwartung von blühenden Landschaften gemacht. Wegen des ausbleibenden Wirtschaftsaufschwungs nicht benötigte Industriegebiete, nicht gebaute Straßen und nicht in Wohngebiete umgewandelte Felder – das alles sind heute landwirtschaftliche Flächen, die so nicht vorgesehen waren. Dazu kommt noch, daß der Viehbestand wegen der EG- Abschlachtprämien drastisch reduziert wurde und die freigewordenen Weiden heute ebenfalls als Ackerland genutzt werden.

Die Bundesregierung verlangt nun von der EG-Kommission, die außergewöhnliche Situation in den neuen Bundesländern zu berücksichtigen und die zulässige Anbaufläche um 350.000 Hektar zu erhöhen. Die Chancen stehen allerdings nicht allzu gut. Der Streit um die europäische Gatt-Position gegenüber den USA hat einige Fronten innerhalb der Gemeinschaft verhärtet. Aus französischer Sicht etwa könnte es sogar hilfreich sein, wenn die Bundesregierung im eigenen Land durch antieuropäische Bauernproteste weichgekocht würde.