Haitis Militär: Mit aller Macht an der Macht

■ Viele Aristide-Feinde fürchten das Embargo mehr als eine Rückkehr des Präsidenten / Cedras und François ermuntern Paramilitärs zu weiterem Terror

„Offen gesagt, ich fand den Putsch damals ganz gut“, meinte ein haitianischer Geschäftsmann am Wochenende in Port-au- Prince, der die Militärs mit Lebensmitteln aus seinen Lagerhäusern versorgt. „Ich mag Aristide nicht“, fuhr er fort. Er habe geglaubt, Militärchef Cedras sei Haitis Version des chilenischen Diktators Pinochet. „Aber das ist er nicht. Er ist ein Versager, und wir müssen die Tatsache akzeptieren, daß Aristide Präsident ist.“

Während vor den Küsten Haitis US-Kriegsschiffe patrouillieren und zeigen, daß sie das morgen beginnende Embargo durchzusetzen gewillt sind, sieht das haitianische Militär auch im eigenen Lande seinen Rückhalt schwinden. Die winzige und zum Teil steinreiche Elite des Landes fürchtet die Wiederaufnahme des Embargos mehr als die Rückkehr des von ihr so gehaßten Präsidenten. Denn sie muß damit rechnen, daß jetzt noch rentable Unternehmen bei einem erneuten Wirtschaftsboykott zusammenbrechen.

So erscheint vielen von ihnen die Heimkehr des wegen seiner sozialreformerischen Ideen als „Kommunist“ titulierten Aristide – dessen Sturz durch das Militär sie selbst finanziert haben – als kleineres Übel.

Und dennoch werden nach Ansicht von BeobachterInnen viele Offiziere an ihrem Kurs festhalten. Weil sie um jeden Preis an der Macht festhalten wollen. Und weil sie für den Fall der Rückkehr des Präsidenten um ihr Leben fürchten.

In den letzten Wochen ist die Besorgnis der haitianischen Geschäftsleute über den Einfluß des Polizeikommandanten der Hauptstadt, Michel François, gewachsen. „Ich bin völlig sicher, daß François jetzt alles kontrolliert. Er ist im Zentrum der Mafia“, sagte ein anderer Unternehmer.

Diplomaten und Geschäftsleute meinen, daß François mit Einwilligung des Militärchefs Tausende paramilitärischer Hilfskräfte rekrutiert hat. Diese Männer, bekannt als „Attachés“, stehen unter der Protektion der Polizei. Es soll mehrere Gruppen von Attachés geben, die manchmal gemeinsam arbeiten und mitunter einzeln. Während François, wie es heißt, die größte von ihnen kontrolliert, sitzen die Hintermänner der anderen in der Stadtverwaltung von Haitis Hauptstadt Port-au-Prince und einigen Ministerien.

Diplomaten und Funktionäre sagen, sie hätten gehört, wie François Einsätze der Attachés über den Polizeifunk dirigiert. Und die Polizei drückt die Augen zu, wenn sie auf Raubzug gehen und Gelder von Geschäftsleuten und Regierungsinstitutionen erpressen. François kontrolliert direkt die Zentralbank, die wichtigsten Häfen, die einzige Zementfabrik und die wichtigste Reismühle.

All das gibt ihm die notwendigen finanziellen Ressourcen, um seine Leute zu bezahlen.

Doch das Militär kann sich auf eine weitere Kraft stützen: In den vergangenen Monaten sind Dutzende Anhänger der Duvalier- Diktatur zurückgekehrt. Die beiden Duvaliers, „Papa Doc“ François und sein Sohn „Baby Doc“ Jean-Claude, haben Haiti nacheinander – von 1957 bis zum Sturz von „Baby Doc“ – mit extremer Korruption und Gewalt regiert. Die Duvalieristen, heißt es aus Militärkreisen, flüstern den Militärs ins Ohr, daß sie nicht aufgeben sollen und welches ihr nächster Zug sein muß.

Anhänger Duvaliers haben beste Beziehungen zu Michel François, dessen Vater ebenso wie der Vater von Armeechef Cedras zu den prominentesten Unterstützern des älteren Duvalier zählte. Zurückgekehrt sind unter anderen der Ex-Bürgermeister von Port- au-Prince, Franck Romain, und der ehemalige Militärherrscher Proper Avril.

Einflußreich ist auch Max Paul, ein guter Freund von François. Ihm unterstehen die Häfen des Landes. Sein Bruder Jean-Claude Paul war ein hochrangiger Polizeioffizier in der Duvalier-Ära, der später in Miami wegen Kokain- handels verurteilt wurde. Eine neue Partei, die sich offen zum Duvalierismus bekennt, hat eine Serie gewalttätiger Streiks und Proteste organisiert. Unter dem Schutz der Polizei. Diese Partei steckte auch hinter den gewaltsamen Demonstranten, die am vergangenen Montag verhinderten, daß die ersten US-amerikanischen und kananadischen Soldaten landen konnten. Max Paul schickte die haitianischen Boote, die den Pier blockierten, an dem die „Harlan County“ mit den Truppen anlegen sollte.

Mit Terror kennen diese Männer sich aus. François Duvalier hatte in seiner Regierungszeit die berüchtigten „Ton-Ton-Macoutes“ aufgebaut – eine paramilitärische Organisation, die das gesamte Land in Angst und Schrecken hielt. Der Name stammt von einer Figur aus haitischen Kindergeschichten. Diese Figur ist ein böser Mann, der in der Nacht kommt und in seinem Strohsack, dem Macoute, Kinder verschwinden läßt. Ton-Ton ist die Koseform für Onkel. In der Zeit der Duvalier-Diktatur verschwanden Tausende Regierungsgegner im ganzen Land. An den „Ton-Ton-Macoutes“ orientieren sich die „Attachés“, und in ihren Reihen marschieren auch Mitglieder der alten Organisation.

Am Wochenende veröffentlichten Gruppen, die mit dem Militär verbunden sind, über das Radio Drohungen gegen alle Weißen im Land. Diese seien „Teil einer Invasionstruppe“, hieß es. 90 Prozent der Bevölkerung sind schwarz. Geschäfte und Tankstellen wurden aufgefordert, Weiße nicht zu bedienen. Vor dem Embargo suchte sich die Bevölkerung mit Lebensmitteln einzudecken. Die Spannung stieg, als Gruppen bewaffneter Zivilisten und Polizisten durch die Innenstadt und Hauptstraßen von Port-au-Prince zogen, ihre Waffen demonstrativ schwenkten und improvisierte Straßensperren bauten. Wer als Anhänger Aristides bekannt ist, verläßt die Stadt, um sich auf dem Lande zu verstecken.

Rund 400 Mitarbeiter der UNO, der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und ausländische Geschäftsleute haben Haiti inzwischen bereits verlassen. Der Leiter der gemeinsamen UNO- und OAS-Mission, der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Dante Caputo, wollte zunächst jedoch mit 25 Mitarbeitern bleiben. Douglas Farah, Porte-au-Prince/li