Sanssouci
: Nachschlag

■ Kennen Sie Zweig, Arnold? Eine Podiumsdiskussion

Arnold Zweig teilt das Schicksal der meisten sogenannten Klassiker – in Fachkreisen hochgeschätzt, aber vom breiten Lesepublikum weitgehend verschmäht. Der Frage „Arnold Zweig – Heute?“ stellten sich am Sonntag morgen in der Akademie der Künste die Germanisten Dieter Schiller (u.a. Vorsitzender der Internationalen Arnold-Zweig-Gesellschaft) und Jost Hermand (Vorstandsmitglied, Professor of German an der University of Wisconsin-Madison) sowie der Historiker Walter Grab (bis 1985 Direktor der Universität Tel Aviv). Die Podiumsdiskussion bildete den Abschluß einer Wochenendtagung der Zweig-Gesellschaft, in deren Verlauf man in über zwanzig Vorträgen und Diskussionsrunden mit internationaler Beteiligung versucht hatte, die Zweig-Rezeption der Gegenwart abzustecken.

Daß die Romane und Erzählbände Arnold Zweigs heutzutage in den Regalen verstauben, mag daran liegen, daß der 1887 geborene deutsche Jude einer Spezies angehörte, die heute ganz und gar aus der Mode gekommen ist. Zweig war nicht nur Sozialist, sondern zugleich bekennender Antimilitarist und Pazifist. Hierin sieht Professor Grab auch den Grund für Zweigs nahezu gänzliche Bedeutungslosigkeit in Israel, wohin er 1933 emigrierte. Ausgerechnet zwei Monate nach der Staatsgründung 1948, als Hunderttausende Juden aus aller Welt einwanderten, verließ Zweig sein Exil, ging ausgerechnet nach Deutschland zurück und wählte sich obendrein dessen kommunistische Seite zur Heimat.

Bereits im März 1945, als sich die deutsche Kapitulation abzeichnete, hatte Johannes R. Becher den Moskauer Behörden in einem Sofortprogramm zur Veröffentlichung bislang verbotener deutscher Autoren auch drei Titel Arnold Zweigs vorgeschlagen. In der DDR avancierte er folgerichtig, wie schon in der Endphase der Weimarer Republik, zu einem der meistgelesenen Schriftsteller. Die Publikationen des ersten Vorsitzenden der Ost-Akademie der Künste erreichten in der DDR der fünfziger und sechziger Jahren Millionenauflagen, während er im Westen fast völlig ignoriert wurde. Nach seinem Tod im Jahre 1968 ereilte jedoch auch Zweig das Schicksal des „eingesargten Staatsschriftstellers“, wie Jost Hermand das Phänomen des Vergessens umschrieb. Die späten siebziger und vor allem achtziger Jahre schließlich brachten der Bundesrepublik im Rahmen der deutsch-israelischen Annäherung eine kurze Zweig-Renaissance, während der jedoch weniger der Antimilitarist und Sozialist als sein Status als deutsch-jüdischer Autor und seine Verankerung in der Freudschen Psychoanalyse von Bedeutung waren.

Arnold Zweig Foto: Archiv

In der Frage, was bleibt, waren sich Podium und Publikum weitgehend einig mit Jost Hermand, der wie stets eloquent und anschaulich seine Thesen vortrug. Die zukünftige Zweig-Rezeption wird kaum auf seinen 1. Weltkriegsromanen beruhen, auf jenem „Großen Krieg der weißen Männer“, wie Zweig seinen sechsbändigen Romanzyklus von „Der Streit um den Sergeanten Grischa“ (1928) bis „Die Zeit ist reif“ (1957) überschrieben hatte. Ohnehin habe, so Hermand, der traditionelle, konservative Erzähler, der „Roman mittlerer Linie keine Zukunft“, sein Erbe sei von den Massenmedien, speziell dem Fernsehen, angetreten worden. Vielmehr werde Zweigs zum Teil noch unveröffentlichtes essayistisches Werk in den Vordergrund rücken, in dem er sich als liberaler Humanist, als „Mann der Volksfront“ zu erkennen gebe, als jemand, der sich weder vom Zionismus noch später vom DDR-Sozialismus vereinnahmen ließ. Die im Aufbau Verlag geplante historisch-kritische Gesamtausgabe soll in dieser Hinsicht weitere Aufschlüsse geben.

Während ein Zuhörer die These wagte, daß Zweigs Modell der friedlichen Koexistenz von Juden und Palästinensern in einem Staat Pate für eine weitere Annäherung der israelisch-palästinensischen Beziehungen stehen könnte, schloß Prof. Grab eine israelische Zweig-Renaissance für die absehbare Zukunft völlig aus. Ein Händedruck mache noch keinen Zeitsprung. Mit Bezug auf die aktuelle Situation in Deutschland verwies Jost Hermand auf verschiedene Dramatisierungen des „Beil von Wandsbek“ (hebräisch 1943), jener Geschichte um die gewalt- und wortlose Ächtung eines mörderischen Nazi-Kollaborateurs in einer Arbeitersiedlung, die jenen schließlich samt seiner Frau in den Selbstmord treibt. Und zu guter Letzt wußte eine Teilnehmerin aus dem Publikum zu berichten, daß ein Ausschnitt aus dem „Grischa“ zur Pflichtlektüre der 14- bis 16jährigen Schüler in England gehöre. Bernd Imgrund