Empörung am Ararat

Der Ausschluß aus den Europapokal-Wettbewerben bedroht die Existenz des armenischen Fußballs / UEFA mißt mit zweierlei Maß  ■ Von Günter Rohrbacher-List

Berlin (taz) – Zum zweiten Mal nach dem Ende der Sowjetunion und dem Beginn kriegerischer Auseinandersetzungen in Ost- und Südosteuropa spielten in diesem Jahr überwiegend namenlose Fußballzwerge von Moldawien bis Faröer eine Vorqualifikation für die erste Hauptrunde des Europapokals. Wenn heute in Europas Stadien die zweite Runde über die Bühne geht, sind die meisten von ihnen nicht mehr dabei. Von Anfang an aber fehlten Armeniens Meister Shirak Gyumri und Pokalsieger Ararat Jerewan, obwohl sich auch diese nach ihren nationalen Erfolgen auf die Vorauslese vorbereitet hatten. Umsonst, denn die Europäische Fußballunion (UEFA) verweigerte den armenischen Mannschaften – Omenydmen Jerewan wäre UEFA-Cup- Teilnehmer gewesen – den Start im Meister- bzw. Pokalsieger-Wettbewerb. Grund: die angeblich unsichere Lage im Kaukasus.

Der Präsident von Ararat Jerewan, Herr Navasardian, zeigte sich erschüttert. „Wir hatten kein einziges abgesetztes Spiel in unserer Meisterschaft. Armenien ist ein sicheres Land, der Krieg gegen die Aseris findet außerhalb unserer Grenzen um Nagorny-Karabach statt.“ Erst Mitte Juli, eine Woche vor der Auslosung der Spielpaarungen, hatte die UEFA bekanntgegeben, die Mannschaften aus den ehemaligen sowjetischen Kaukasus-Republiken Armenien, Georgien und Aserbaidschan seien aus Sicherheitsgründen nicht qualifiziert.

Die Armenier schickten der UEFA einen Protestbrief. Antwort: Fehlanzeige. Am Vorabend der Auslosung wurde der georgische Meister Dynamo Tbilissi – später wegen Betrugs dann doch eliminiert – zugelassen, ein Akt der Willkür, den Ararat-Trainer Armenak Sarkissian als besonders zynisch empfand. Vor allem weil zwischen Georgien und dem abtrünnigen Abchasien ein nicht minder explosiver Konflikt im Gange ist. Auch die Vertreter Kroatiens, Hajduk Split als Pokalsieger und Croatia Zagreb als Meister, durften ohne jede Einschränkung für ihre Treffen mit Ajax Amsterdam und Steaua Bukarest planen. Als wenige Tage vor den Hinspielen wieder serbische Bomben auf Kroatien niedergingen, verlegte Split sein Spiel ins slowenische Ljubljana. In Armenien wäre eine solche Maßnahme nicht notwendig gewesen, in Jerewan und in Gyumri gibt es keinerlei Sicherheitsprobleme.

Nach dem Niedergang der Sowjetunion und der Unabhängigkeit Armeniens gründeten die Armenier wie auch Georgier, Ukrainer, Bjelorussen, Letten, Litauer und Esten eine eigene nationale Liga. In der armenischen Eliteklasse spielen unter zwölf Mannschaften sieben Teams aus der Hauptstadt Jerewan. Langeweile ist programmiert, die großen Gegner von früher, die Clubs aus Moskau, Kiew oder Dnjepropetrowsk, fehlen, und mit ihnen bleiben auch die früher zahlreichen Zuschauer aus. „Wir haben in Armenien eine ernsthafte wirtschaftliche Krise, und unter diesen Bedingungen einen Proficlub zu unterhalten, ist äußerst schwierig“, schildert der Ararat-Präsident seine Sorgen.

1972/73 hatte Ararat am UEFA-Cup teilgenommen und gegen den 1. FC Kaiserslautern vor 70.000 Zuschauern 2:0 gewonnen. Krönung und Höhepunkt der Vereinsgeschichte war der sowjetische Meistertitel 1974 und das Erreichen des Viertelfinales im Meistercup, wo man gegen Bayern München nur knapp mit 1:0 und 0:2 unterlag. Heute kommen durchschnittlich 5.000 Zuschauer ins „Große Stadion“ von Jerewan, das eine ähnlich trostlose Kulisse bildet wie das Leipziger Zentralstadion. Die große Hoffnung war der Europapokal. Doch wenn diese Hoffnung schwindet, was dann? Eine Frage, die viele Spieler von Ararat ihrem Trainer nach dem Ausschluß stellten. Armenak Sarkissian, der die großen Zeiten des Clubs als Spieler miterlebt hat, versucht die Spieler zu überreden, im Land zu bleiben. „Sonst entwickelt sich im armenischen Fußball nichts mehr.“

Seit der Unabhängigkeit 1991 haben 29 Spieler den Renommierclub des Landes verlassen. Nicht alle von ihnen spielen in Topmannschaften, aber sie verdienen ihr Geld leichter als die Zuhausegebliebenen. Die Mehrzahl ging zu russischen Vereinen, vorwiegend nach Moskau, wo viele Armenier leben. Andere, wie der Stürmer Mekhitarian, heuerten in Frankreich an, wo mit dem ASOA (Association Sportif d'Origine Arménienne) Valence ein originär armenischer Club in der Super-Division 2 spielt. Auch der kecke Aufsteiger AS Cannes hat mit Gilles Hampartzoumian und Pascal Bedrossian zwei (allerdings in Frankreich geborene) Armenier in seinen Reihen. Exotischstes Ziel armenischer Kicker ist der Libanon mit seiner wichtigen armenischen Diaspora. Ein merkwürdiges Schicksal, das Menschen in ein Land in Ruinen führt.

Die Spieler von Ararat Jerewan wurden schließlich etwas entschädigt für das unverständliche Vorgehen der UEFA. Der Französische Fußballverband (FFF) spendierte ihnen ein Trainingslager in Clairefontaine mit Testspielen gegen Olympique Lyon und ASOA Valence. Arthur Artinian, der Präsident des französisch-armenischen Zweitligisten, würde ohne Scheu die weite Reise zum Ararat wagen, wenn er denn das Geld dafür aufbringen könnte. Doch er hofft für seine Landsleute. „Hoffentlich vergißt Fußball-Europa nächstes Mal nicht wieder, daß da im Herzen des Kaukasus ein kleiner Zipfel Okzident hervorragt.“