Immer mehr Regime lassen ihre Gegner „verschwinden“

■ Amnesty startet weltweite Kampagne

London/Bonn (AFP/taz) – Sie werden auf der Straße oder in ihren Wohnungen überfallen und gewaltsam abgeführt, von Polizisten und Soldaten in Uniform, von vermummten oder einfach in Zivil gekleideten Männern. Und wenn dann die Familie, Freunde oder Kollegen nach ihnen suchen, verzweifelt zur Polizei und zu den Gefängnissen laufen, um zu erfahren, wo sie sind, dann „weiß es niemand“: Hunderttausende sind auf diese Weise „verschwunden“. Das Verschwindenlassen von Menschen stellt neben politischen Morden „die größte Bedrohung für die Menschenrechte in den neunziger Jahren dar“, erklärte gestern die Menschenrechtsorganisation amnesty international zum Beginn ihrer weltweiten Kampagne unter dem Motto „Auslöschen könnt ihr sie nicht“.

Amnesty international legte eine umfassende Dokumentation von Fällen vor, in denen noch heute Menschen „verschwinden“. So in Peru, wo in den frühen Morgenstunden des 18. Juli 1992 Soldaten auf das Gelände der Universität La Cantuta drangen und mehrere StudentInnen zwangen, sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen. Anschließend griffen sie sich mindestens neun junge Männer und Frauen heraus und führten sie gewaltsam ab. Auch der Dozent Hugo Munoz Sanchez wurde von Vermummten aus seiner Wohnung gezerrt, geknebelt und abtransportiert. Erst im Juli 1993 wurden die Leichen der Verschleppten in vier Massengräbern in Lima entdeckt.

„Waren früher autoritäre Regime und Militärdiktaturen die Hauptschuldigen, sind es heute zunehmend Regierungen, die vorgeben, die Menschenrechte zu garantieren“, betonte ai. Grausamkeiten und Morde in erschreckendem Ausmaß fänden besonders in Ländern statt, die wie Südafrika und Kambodscha um eine politische Reform ringen, ferner in Gebieten mit ethnischen oder nationalistischen Konflikten wie im früheren Jugoslawien oder in Ländern wie Somalia und Zaire. Täter seien neben Vertretern der Staatsgewalt auch bewaffnete Oppositionsgruppen. Doch internationaler Druck kann helfen, auch wenn die Situation fast aussichtslos scheint: 1991 wurden in Marokko laut ai 300 Menschen freigelassen, die 18 Jahre lang als „verschwunden“ galten. li