piwik no script img

Waterloo-Ufer: Dreißig Stunden Wartezeit

■ Kreuzberger Bürgermeister kritisiert Ausländerbehörde Innensenator will Verlegung nach Hohenschönhausen

Die ersten Kriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien stellen sich schon morgens um sechs mit der Hoffnung an, am nächsten Tag in die Ausländerbehörde am Waterloo- Ufer vorgelassen zu werden. 30 Stunden betrage die derzeitige Wartezeit für einen Duldungsstempel im Paß, und das bei Nachttemperaturen um drei Grad, sagte gestern der Kreuzberger Bezirksbürgermeister Peter Strieder (SPD). Die Zustände würden sich jeden Tag verschlimmern. In den vergangenen zwei Jahren flohen 30.000 Kriegsflüchtlinge nach Berlin; weitere 100 Menschen kämen jeden Tag hinzu.

Peter Strieder und der Ausländerausschuß fanden beim gestrigen Besuch Alarmierendes am Waterloo-Ufer. Weil die Flüchtlinge alle sechs Monate bei der Behörde neu vorsprechen müßten und nur 500 Anträge pro Tag bearbeitet werden könnten, herrschten dort „menschenunwürdige Zustände“. Die Ausländerbehörde gebe keine Wartenummern mehr aus, weil mit diesen in der Vergangenheit schwunghaft gehandelt worden sei, berichtete Strieder. Das Ergebnis: „Die dreißigstündige Wartezeit setzt ein großes aggressives Potential frei.“ Frauen, Kinder und Gebrechliche werden aus den Warteschlangen gedrängt, es komme zu sexuellen Belästigungen und zu „konkreten Bedrohungen“.

Dazu kämen noch „organisatorische“ Probleme. Die Übersetzungen seien „fehlerhaft und mißverständlich“. Aus den ausgelegten Informationsblättern gehe nicht hervor, daß nicht-bosnische Kriegsflüchtlinge ihre Einzelanträge auf eine Verlängerung der Duldung begründen müssen. Es fehle ein Beratungsbüro. Ebenfalls fehle jeglich räumliche Differenzierung zwischen neu nach Berlin gekommenen Antragstellern – deren Erstanträge ebenso zeitraubend wie dringend seien, um Sozialhilfe zu bekommen – und Antragstellern, die nur ihre Duldung verlängern müssen. Peter Strieder forderte sofortige Abhilfe, insbesondere die Einrichtung von extra Warteräumen für Frauen und Gebrechliche. Einen entsprechenden Sieben-Punkte-Antrag stellte gestern die Fraktion Bündnis 90/ Grüne im Abgeordnetenhaus.

Unterdessen verspricht Innensenator Heckelmann (CDU) die Aufstellung eines Wartecontainers für 250 Personen. Zudem kündigte er den Wunsch an, die Anlaufstelle für Kriegsflüchtlinge nach Hohenschönhausen zu verlegen. Die dort untergebrachte Asylbewerbungsbehörde soll in die Dienststelle des „Bundesamtes für die Anerkennung politischer Flüchtlinge“ in die Spandauer Streitstraße umziehen. Der Ringtausch sei bisher nur an der Sozialverwaltung gescheitert, die die leerstehenden Räume in Spandau dem Bezirk versprochen habe. Eine Darstellung, die Strieder gestern zurückwies. Bisher habe der Innensenator auf die Interessen der Bezirke wenig Rücksicht genommen, ihm fehle es vielmehr „am politischen Willen“, die Zustände zu ändern. Anita Kugler

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen