Keine strahlenden Fischstäbchen

Rußland will Atommüll nicht länger vor Japans Küste verklappen / Aktion von Greenpeace führte zu politischer Kehrtwende  ■ Von G. Blume und H.-J. Tenhagen

Tokio/Berlin (taz) – Rußlands Regierung will künftig auf das Abkippen von Atommüll im Japanischen Meer verzichten. Der Sprecher des russischen Umweltministeriums, Alexander Schuwalow, teilte gestern mit, diese Entscheidung sei am Mittwoch abend nach intensiven Gesprächen mit der japanischen Regierung getroffen worden.

Der japanische Außenminister Tsutomu Hata hatte seinen russischen Amtskollegen Andrej Kosyrew in einem zwanzigminütigen Telefongespräch vor den Folgen der russischen Praxis für das Verhältnis mit Tokio gewarnt und verlangt, die Atommülldeponierung im Japanischen Meer sofort zu stoppen. Auch der amerikanische Außenminister Warren Christopher hatte die Regierung in Moskau aufgefordert, die Atommüllverklappung zu unterlassen.

Ursprünglich wollte Rußland bis zum 15. November 28.000 Tonnen flüssigen Atommüll in die Gewässer vor der japanischen Küste einleiten. Russische Militärs hatten das ohne genaue Angaben eines Datums schon im Sommer angekündigt. Der strahlende Müll stammt vor allem aus den Atom- U-Booten der russischen Kriegsmarine. Schuwalow kündigte gestern an, Rußland wolle nun nach Alternativen suchen. Ende Oktober sollen darüber erste Gespräche mit der japanischen Regierung stattfinden. Die Japaner haben angeboten, aus dem 100-Millionen- Dollar-Topf, den sie zur Entsorgung der russischen Atomwaffen bereitgestellt haben, Gelder für diesen Zweck umzuwidmen.

Aufgeflogen war die gefährliche russische Praxis durch Greenpeace. Die internationale Umweltschutzorganisation hatte am Wochenende den russischen Tanker TNT-27 ausgemacht, der insgesamt 900 Kubikmeter flüssigen Atommüll 550 Kilometer vor der japanische Nordinsel Hokkaido ins Meer abließ. Sie verfolgten das Schiff und dokumentierten die gefährliche Praxis.

Das japanische Fernsehen präsentierte Videoaufnahmen der russischen Aufsichtsbehörden an Bord des Atommüllfrachters, die zeigten, wie 900 Tonnen radioaktives Kühlwasser aus russischen Atom-U-Boot-Reaktoren ohne jede weitere Schutzvorkehrung ins Japanische Meer gelassen wurden. Die russischen Matrosen trugen keinerlei Schutzkleidung, obwohl an Bord eine radioaktive Strahlung festgestellt wurde, die japanische Wissenschaftler gestern als „skandalös“ bezeichneten.

Die atomare Ferkelei der russischen Behörden erregte besonderen Ärger in der japanischen Öffentlichkeit, weil der russische Präsident Boris Jelzin erst in der vergangenen Woche in Tokio weilte und sich nach dem Staatsbesuch eine Verbesserung der seit dem Zweiten Weltkrieg unterkühlten russisch-japanischen Beziehungen abzeichnete. Jelzin und der japanische Premierminister Hosokawa hatten erklärt, daß „die Deponierung radioaktiven Abfalls auf offener See für die ganze Welt besorgniserregend sei“.

Japan hatte auf diesen Teil der Erklärung gedrängt, nachdem im Frühjahr erstmals ans Licht gekommen war, daß die Behörden der alten Sowjetunion zwischen 1962 und 1991 regelmäßig Atommüll mit einer Aktivität von insgesamt 12.000 Curie (ein Curie entspricht 37 Mrd. Bequerell) im Japanischen Meer, der Beringsee und im Pazifik versenkten. Doch waren die Gespräche zwischen Jelzin und Hosokawa nicht so harmonisch verlaufen, wie der Erklärungstext vermuten ließ. Jelzin hatte seinen japanischen Kollegen darauf hingewiesen, daß Japan in den siebziger Jahren ebenfalls Atommüll im Pazifik versenkt hatte. In Japan hatte die Anti- AKW-Bewegung die Meeresversenkungen von Atommüll dann gestoppt.

Rein rechtlich gesehen ist die russische Regierung nicht verpflichtet, auf die Verklappung des Atommülls im Meer zu verzichten. Die in diesem Zusammenhang zitierte Londoner Konvention von 1972 sieht nur die Ächtung der Meeresdeponierung von hochradioaktiven Atommüll vor. 1975 hatten sich die Unterzeichnerländern, darunter die alte Sowjetunion, allerdings zu einem freiwillig Moratorium bei der Versenkung jeden Atommülls im Meer bereit erklärt. Die japanische Regierung will bei einem Treffen der Unterzeichner der Londoner Konvention am 8. November in London jetzt ein völliges Verbot der Verklappung von Atommüll ins Meer erreichen.

Der Chef der Wiener Atombehörde (IAEA), Hans Blix, der vorab von den Russen informiert worden war, hält die Verklappung nach wie vor für harmlos. In Tokio erklärte er, die Lage im Japanischen Meer sei „für Natur und Mensch von keiner Bedrohung“. Von Japan verlangte Blix „einen konstruktiven Umgang“ mit den russischen Entsorgungsproblemen.