: Riffeln, kaschieren, leimen und streichen
■ Über die Herstellung von Pappe und was man alles aus ihr machen kann: Iglus, Sitze, Paravents ... Von Sandra Fanroth
Ende des letzten Jahrhunderts: Der Amerikaner Albert L. Jones bastelt mit Papierbahnen; er riffelt zunächst einige und kaschiert sie anschließend mit glattem Papier. Die Wellpappe war erfunden, parallel zur Industrialisierung begann das Verpackungszeitalter.
In den 50er Jahren wird die Wellpappe in vielen Bereichen eingesetzt, die über die bloße Verpackung hinausgehen: Iglus für Eisfischer, Baracken und sogar Wochenendhäuser entstehen . In den 60ern kommen auch Pappmöbel hinzu, die frischen Wind in die bürgerlichen Wohnstuben bringen. Doch erst als die MöbeldesignerInnen der 80er das ungewöhnliche Material für ihre witzig-frechen Kollektionen entdecken, werden die Pappmöbel einer breiteren Bevölkerungsschicht bekannt.
Wellpappe kombiniert auf ideale Weise Stabilität mit geringem Eigengewicht. Die Wellpappindustrie ist heute in der Lage, jede beliebige Kartonqualität mit unterschiedlichsten Oberflächen herzustellen. Durch ausgeklügelte Falttechnik erreicht zum Beispiel der Papphocker, der mittlerweile fast schon zu den Klassikern der Designmöbel zählt, eine Belastbarkeit von bis zu 1000 kg. Gleichzeitig vereinfacht die Leichtigkeit der Möbelstücke Umzüge und häufiges Umstellen.
Erfreulich sind auch die erschwinglichen Preise: Ein Hocker kostet 19, ein Bett knapp 200 Mark. Die Ökobilanz ist im Vergleich zu Möbeln aus konventionellen Materialien ebenfalls günstig: Alle Wellen- und Innenbahnen bestehen aus Altpapier, nur die stärker strapazierten Außenflächen aus „frischem“, nicht recycletem Papier.
Das Holz für dieses Papier stammt - laut Herstellerfirma Stange Design - aus skandinavischer Plantagenwirtschaft, wo die Wiederaufforstung sicher gestellt ist. Die einzelnen Papierbahnen werden mit Leim aus Maisstärke verklebt. Holzschrauben und -muttern dienen als Verbindungsstücke - die HerstellerInnen kommen ganz ohne Metall und Kunststoff aus. Zur Verstärkung der Lehnen, Sitzflächen und Sockel kombiniert insbesondere die Firma wellobjects Holz der Buche und der Erle mit Mitteldichter Faser (MDF), die ohne das Bindemittel Formaldehyd verarbeitet sein sollen.
Sowohl die Holzanteile als auch die Pappoberflächen sind lackiert, zwar immerhin mit Acryllack, der anstelle der organischen Lösemittel Wasser enthält, aber dennoch wird so das Recycling erschwert. Die Versiegelung der Kartonoberflächen durch eine Lackschicht macht sie zwar unempfindlicher , aber es gibt keinen Grund, die Holz- und MDF-Teile nicht offenporig zu behandeln. Wären die Herstellerfirmen in ihrem ökologischen Anspruch konsequent, müßten sie zu Naturharzlacken, Ölen und Wachsen greifen, ihre Prospekte auf Recycling- statt auf Hochglanzpapier drucken und die eingesetzten Farben, Lacke und Kleber samt Inhaltsstoffen konkret benennen, statt sich mit Floskeln wie „chemisch unbedenklich“ und „umweltverträglich“ zu schmücken.
Das Sortiment der Hersteller reicht weit über Tisch und Bett hinaus: vom Sessel über Regaltürme, Wäschebox, CD-Depot bis hin zu Garderobe und Bilderrahmen, mal naturbraun, mal poppig-bunt, von funktional bis schrill ist alles vertreten. Und wenn das noch nicht genügt, können die Kreativen unter uns die braunen Versionen nach Herzenslust selbst bemalen. - Wegen der Kompostierbarkeit selbstverständlich mit Naturfarben!
In der ganzen BRD gibt es nur zwei Herstellerfirmen (Stange Design Berlin und wellobjects in Löhne/Westfalen). Der einzige norddeutscheVertrieb ist O'well, Turnerstr. 14-16, 20357 Hamburg, Tel. 0 40/430 54 90. einzelne Pappmöbel sind zu beziehen bei:
Art of sleep, Schulterblatt 104, Tel. 0 40/439 87 73
Magazin, Dorotheenstr. 53, Tel. 0 40/27 50 19
Umwelt-Laden im Heinrich-Böll-Haus Lüneburg, Katzenstr. 2, 21335 Lüneburg, Tel. 0 41 31/ 410 93
Laden D, Dr.-Julius-Leber-Str. 9, 23552 Lübeck, Tel. 04 51/70 40 59
Art of sleep, Königstr. 125, 23552 Lübeck, Tel. 04 51/748 64
Licht und Papp Design, Knooper Weg 35, 24103 Kiel, Tel. 04 31/927 26
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