Bundesgrenzschützer spielten Helden

■ Zweieinhalb Jahre danach: Prozeß um Demo wg. Hafenstraßen-Razzia beginnt   Von K. v. Appen

Das Hamburger Landgericht wird zum Jahresende mit einem politischen Mammutprozeß beschäftigt sein: Ab 9. November müssen sich sechs Männer - darunter der ehemalige GAL-Abgeordnete Udo Hergenröder - wegen schweren Landfriedensbruchs, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, am 19. Juni 1990 im Verlauf einer verbotenen Demonstration gegen die große Hafenstraßen-Razzia Polizeibeamte angegriffen zu haben, wodurch ein Bundesgrenzschützer (BGS) erheblich verletzt wurde.

So etwas hatte Hamburg noch nicht erlebt: Am 15. Juni 1990 stürmte in den Vormittagsstunden eine ganze Armee von Polizeibeamten die umkämpfte Häuserzeile am Hafenrand. Die Bundesanwaltschaft erklärte die Region Hafenstraße zum Sperrgebiet. Selbst JournalistInnen wurde der Zutritt während der sechsstündigen Razzia verwehrt. Die zivilen Fahnder wollten keine Zeugen haben, als sie persönliche Gegenstände, Unterlagen und Materialien der BewohnerInnen herausschleppten, um damit den Vorwurf erhärten zu können, am Hafenrand befinde sich die RAF-Zentrale.

Noch am selben Tag brachten 500 Menschen friedlich ihre Empörung zum Ausdruck, am drauffolgenden Samstag wurde zur bundesweiten Demonstration aufgerufen. Doch die Hamburger Innenbehörde untersagte den Protestmarsch. Grund: Der Staatsschutz, der mit einer ähnlichen Fehleinschätzung vier Jahre zuvor bereits mit dafür gesorgt hatte, daß es zum Hamburger Kessel kam, hatte den Aufmarsch des „Schwarzen Blocks“ prophezeit.

Trotz des Verbots versammelten sich 1000 Menschen in der City und zogen über die Spitalerstraße in die Mönckebergstraße. Obwohl spätestens zu diesem Zeitpunkt klar war, daß es eine friedliche Manifestation werden würde, löste die Polizei die Demo auf. Wenig später formierte sich aber erneut und spontan ein Protestzug am Gänsemarkt. Dieses Mal wurde kurzer Prozeß gemacht: Ein Großaufgebot an Uniformierten kesselte die DemonstrantInnen ein.

Lediglich an der Gerhofpassage gab es die Möglichkeit, vor der Polizei zu flüchten. Doch die dort postierten acht BGSler wollten Helden spielen, verteidigten die Sperre mit Knüppeln. Es kam zu einer Rangelei. Der BGSler Th., der einem Demonstranten von hinten mit dem Knüppel auf den Kopf schlug, stürzte wenig später beim Weglaufen über das Schutzschild eines Kollegen. Demonstranten traten darauf auf den am Boden liegenden Beamten ein, der lauthals schrie. Ein Hafenstraßensympathisant kam dem BGSler zur Hilfe, so daß von ihm abgelassen wurde. Dennoch zog der BGSler seine Dienstwaffe, entsicherte sie und drohte, in die Menschenmenge zu schießen. Nur mühsam gelang es Demoteilnehmern, Th. zu beruhigen. Th. verlor bei dem Vorfall zwei Zähne und erlitt Nierenprellungen.

Die Staatsanwaltschaft präsentiert eine andere Version dieses Vorfalls. Besonders der Hafenstraßenbewohner Arne C. ist ins Visier geraten. Er soll zunächst einem BGSler mit einem Kinnhaken den Helm vom Kopf geschlagen, anschließend einen anderen Beamten in den Würgegriff genommen und ihm dann Hiebe und Tritte verpaßt haben. Wenig später soll Arne C. dem erwähnten BGSler Th. mit beiden Füßen zugleich in den Rücken gesprungen sein. Zwei andere Angeklagte sollen Th. dann aus vollem Lauf getreten haben.

Zur Untermauerung ihrer Anklage bietet die Staatsanwaltschaft 17 Zeugen auf, darunter möchte sie auch Journalisten - Augenzeugen des Vorfalls - zur Aussage zwingen. Überdies legt die Anklage zahlreiche Beweisfotos vor, die ihr vom Springer-Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Die taz machte aus grundsätzlichen Erwägungen vom Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten Gebrauch, verweigerte die Herausgabe ihres Fotomaterials. Zunächst wollten die Fahnder sogar eine Razzia in der taz-Redaktion durchführen, um an die begehrten Fotos zu kommen. Da die Ankläger aber unseren gefräßigen Redaktionskater kennen, nahmen sie davon Abstand.