Ich will Kultur nach Walle bringen

■ Warum der Friseurmeister Krükemeier seinen großen Salon eingetauscht hat gegen ein winziges Lädchen und einen Auftrag

Der Friseurmeister ist ein schmaler Mann mit unruhig dunklen Augen hinter der Brille und, wenn möglich, einer Zigarette in der Hand. Sein Laden in der Vegesacker Straße ist winzig. Wenn alle vier Wartestühle unter dem Bord mit Asterix-Lesestoff besetzt sind und auch noch

„Ja“, sagt er, „es ist mir selbst ein Rätsel, warum die Kunden sich bei mir so öffnen.“

ein Kunde am zweiten Waschbecken ausharrt, dann ist es schon so voll, daß die duftgeschwängerte Luft ein wenig knapp werden kann.

Termine werden hier nicht gegeben. Wer etwas will, muß sich ein Herz fassen und hereinplatzen, denn so spricht Meister Krükemeier: „Wichtig ist nicht das Ergebnis, sondern das Erlebnis!“ Das fängt schon beim Warten an: Da erleben die Geduldigen, ehe sie selber drankommen, wie Rolf Krükemeier einen Kunden tröstet, der Rotz und Wasser vor dem Spiegel heult, weil ihn seine Frau verlassen hat; wie er dem neurodermitischen Kind behutsam die Ölkur erklärt oder dem selbstmordgefährdeten Ex-DDRler seine Privatnummer anbietet.

„Ja“, sagt Krükemeier, „es ist mir selbst ein Rätsel, warum die Leute sich bei mir so öffnen, auch wenn der Laden brechend voll ist. Vielleicht liegt es an meiner Nackenmassage. Man sagt, ich hätte goldene Hände.“ — Und eben ein Herz für die Seelen seiner insgesamt über tausend Kunden. „Die Anziehung stimmt“, sagt er.

So versorgt er sie mit seinen computergedruckten „Kundenbriefen“, die er verfaßt, „wenn meine Frau beim Fußball ist“. Diese Kundenbriefe stellen nicht nur die neuesten Sonderangebote vor und seine „Haarnaturtherapie“ mit selbstentwickelten Shampoos und Ölen, sie sind auch gespickt mit Literaturzitaten („Zu Beginn komme ich Ihnen lyrisch“), und unter dem Titel „Thesen, Trends und Träume“, gibt er allerlei Gedanken an Land und Leute weiter: „Liebe Kunden, wir befinden uns in einem tiefgreifenden Wandel.“

Manchmal gibt's ganze Themenheftchen zu den Fragen der „Angst“, der „Entspannung“ oder der „Sucht“. Eine inzwischen bewältigte Alkoholkrankheit war es auch, die den Meister Krükemeier damals aus seinem großen Salon mit fünfzehn Angestellten herausgeschleudert hatte: „Das war der erste Salon in Bremen, der zwangsversteigert wurde.“ Nach vielen Zwischenstationen aber wußte er dann wieder: „Und wenn sie mich im Rollstuhl hinfahren müssen: Ich bleibe Friseur!“

Auf die Belange der Dauerwellen allerdings mochte er sich nicht mehr beschränken; es geht ihm vielmehr darum, „Kultur nach Walle zu bringen“. Deshalb der Ladenwinzling, deshalb ein Schaufenster, das statt für Frisuren für Ausstellungen wirbt oder, wie jetzt, mit einem beleuchteten Kinomodell auf eine

In seinen vielen Kundenbriefen, die er verfaßt, „wenn meine Frau beim Fußball ist“, äußert er sich durchaus zu verschiedenen Fragen der Lyrik, des Epochenwechsels und der Sucht

Reihe von Filmen mit Hans Albers in der Landesbildstelle hinweist. Und im Inneren des Ladens blinken zwei Dioramen vom Freimarkt, wo sich handbemalte Figürchen tummeln.

Auch der Reporterin wird der Kopf gewaschen, und ohne diesen spitzen Bemerkungen über ihr dünnes Haar, welche sonst immer überleiten zu Empfehlungen von Pflege-und Füllekuren. „Noch nach dem nächsten Waschen werden ihre Haare duften!“ — das hatte Krükemeier versprochen. Und es hat gestimmt. Cornelia Kurth