Wir wehren der Wallung

■ Wie ein Kultursaal voller Aufgeklärter den Vorwurf der Pornographie von sich weist / Über eine rührende Debatte in der Angestelltenkammer

Vorm Eingang zum Kultursaal stand ein Maskierter und schlug immerzu den Mantel auf, worunter ein enormes Gemächte aus Pappmaché baumelte, und daneben stand der stadtbekannte Libertin Reineking-Drügemöller und verteilte Flugblätter, auf denen mit Entrüstung geschrieben stand, die neulich inkriminierten Videofilmchen der Angestelltenkammer seien keine Pornos, sondern „zeit-kritische Kunstvideos“.

Ich möchte diese Verleumdung zurückweisen, Herr Reineking-Drügemöller! Was haben Ihnen die harmlosen Filmchen getan, daß Sie sie, um ihnen die Schande zu ersparen, mit einem einzigen Wort zerschmettern? „Zeit-kritische Kunstvideos“!

Wir Leutchen aber, die wir am Freitag abend der Einladung der Angestelltenkammer zur laufenden Pornodebatte zuhauf gefolgt waren, wir haben uns nicht abschrecken lassen. Mehrere Videos haben wir uns angeschaut, und die meisten haben wirklich mein Herz erfreut. Ich nenne nur von Jürgen Drews die aberwitzig herunterrasende Folge nackter Körperteile, untermalt von symphonischem Gestöhn, allwo's einem bald wohlig im Solarplexus schummert vor lauter Rasanz!

„Is' aber doch viel zu schnell für eine Wichsvorlage!“ rief da der Schriftsteller Jürgen Albertz aus und meinte es nur gut, „diese Videos sollte man mal in die Pornokanäle der Bremer Hotels einspeisen! Schon wegen der langen Gesichter nächsten Morgen!“ Ich aber würde eher schlußfolgern, daß man dann eben bessere Videos machen muß.

Alle guten Menschen empfinden ja doch ein Herzensbedürfnis nach guten Pornos, allwo man alles und immer noch mehr besichtigen darf, aber ohne daß es auf jemandes Kosten ginge. Ein paar Filmchen aus dem Kammer-Repertoire erlaubten schon Vorahnungen auf jene bessere Zeit, in der die guten Pornos dann aber sicherlich auch so heißen werden und nicht in geradezu obszöner Spitzfingrigkeit „Erotikfilme“, wie es aus dem Publikum einmal vorgeschlagen wurde.

Aber ach, das einhellig fortschrittlich gesinnte Volk im Kultursaal war einhellig bedacht, von Pornos überhaupt nie etwas gewußt haben zu wollen. Das ist, wie wenn strengen Blicks die Mutti ins Zimmer tritt, und die Kinder sagen: „Ooch, wir schaun uns hier nur zeit-kritische Kunstvideos an. Für Wichsvorlagen sind die eh viel zu schnell, Mutti!“

Leider fehlte die eine, die so gut die Mutti hätte abgeben können: Brigitte Dreyer von der DAG, die Vertreterin der Anklage in diesem Disput, war gar nicht erst erschienen. Umso einiger waren sich alle, vom Kulturstaatsrat Schwandner bis hin zur Galeristin Rabus, daß der ganze Pornovorwurf „läppisch“ sei, denn es handle sich um Kunst, welche den Schweinkram genügend „verfremdet“ habe.

Überall wirkte der Glaube, daß anständige Leute sich die scharfen Sachen in einem höheren Sinne anschauen, nämlich gezeichnet von der Anstrengung, etwas zu erkennen, da doch vielleicht der Künstler ein wenig auf den Negativen herumgeschabt hat. Am schönsten verwahrt sich die schriftliche Erklärung der Angestelltenkammer gegen den Vorwurf, man erlaube sich, an nackerten Menschenskindern eine Freude zu haben: Es wird also nicht „Porno“ zum Konsum angeboten, heißt es da, sondern z.B. mit ästhetischen Mitteln (Zitate, Schnittfolge u.a.) der voyeuristische Blick enttäuscht und entlarvt, was ich im Namen des voyeuristischen Blickes heftig anprangern würde, wenn es nur stimmte. Aber man sieht zum Glück schon was.

Im Kultursaal hingegen sah man, und das war auch nicht schlecht, wie himmelhoch die Menschen doch zuweilen aufflattern über ihrem Triebschicksal; und man sah es mit Rührung. Denn herunter kommen sie immer. Manfred Dworschak