Dalai Lama ermuntert zur Hoffnung

■ Friedensgespräche: 1.500 ZuhörerInnen kamen ins Schauspielhaus / Das tibetische Oberhaupt forderte eine grundlegende Reform der UNO / Schorlemmer: Toleranz kann leicht Gleichgültigkeit sein

Bis auf den letzten Platz war das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt besetzt. Die spürbare Spannung der rund 1.500 Besucher am Samstag nachmittag galt dem XIV. Dalai Lama, dem weltlichen und religiösen Oberhaupt der Tibeter, dessen Ausstrahlung legendär ist. Mit einstündiger Verspätung erschien er auf dem Podium, wo er auf Einladung der Fördergemeinschaft zur Gründung einer Friedensuniversität Potsdam mit dem diesjährigen Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Friedrich Schorlemmer, und der Schriftstellerin Luise Rinser über „Fremdenfeindlichkeit und Toleranz“ sprach.

Der Beifall verebbte, als der Dalai Lama ein Gebet in seiner Sprache spricht. Zum dritten Mal sei er nun in Berlin, bei seinem ersten Besuch habe die Mauer noch gestanden, aber sie sei nicht mehr „aktiv“ gewesen. „Als ich rüber ging nach Ostberlin, traf ich viele Menschen voller Glaube und Hoffnung für die Demokratie, sie brachten mir eine Kerze, die wir gemeinsam anzündeten und hochhielten“, erzählte er.

Inzwischen zeige sich bei vielen Enttäuschung über die Folgen der Einheit, aber Gutes sei ohne Schwierigkeiten nicht erreichbar. Doch Hoffnung und Entschlossenheit, die die wichtigsten Voraussetzungen zur Überwindung von Schwierigkeiten und zur Lösung von Konflikten seien, werde auch den Deutschen helfen.

Die bedrohlich wirkenden Bodyguards, die zu beiden Seiten des Dalai Lama Aufstellung genommen haben, entspannten sich langsam. Der junge tibetanische Mönch hingegen, der den schnell fließenden Redestrom übersetzen soll, kam ins Schwitzen angesichts der langen Passagen. Der Dalai Lama zeigte sich amüsiert darüber und bedeutet ihm, doch einen Schluck Orangensaft zu trinken, um Kraft zu schöpfen. Er selbst trank Wasser.

Dann kommt er zu der zentralen Frage: Wie kann die Menschheit zu mehr Frieden kommen? Natürlich müßten die Waffen und der Waffenhandel abgeschafft werden, aber die eigentliche Antriebskraft liege im menschlichen Geist, in der Fähigkeit zur Vernunft. Der Wunsch nach Frieden sei dem Menschen eigentümlich, sagt der Dalai Lama. „Unsere Natur ist eine mitfühlende, freundliche, und dieses Mitgefühl, diese Zuneigung, die müssen wir entwickeln, um glücklich zu sein. Ohne Ausgeglichenheit des Geistes kann der Mensch weder Glück noch Frieden finden.“ Das Publikum applaudierte spontan.

Anschließend fordert er eine grundlegende Reform der Vereinten Nationen. Das Vetorecht der ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates und die Tatsache, daß in die UNO-Generalversammlung Vertreter von Regierungen entsandt würden, die auf nationale Interessen und Wahlchancen Rücksicht nehmen müßten, verhinderten eine demokratische Struktur. „Die Welt braucht eine Vertretung, die Naturwissenschaftler, Lehrer, Ökonomen und andere Mitglieder der Gesellschaft repräsentiert und die über der Instanz der Politiker steht“, sagte der Dalai Lama. Der diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, der Wittenberger evangelische Pfarrer Friedrich Schorlemmer, warnte vor zu hochgesteckten Zielen.

„Wer über die Weltordnung sinniert, für den gibt es schnell wieder gerechte Kriege“, sagte Schorlemmer. Er sei „für die Abschaffung des höchsten Ziels“. Die Menschen sollten vielmehr über das Mitempfinden von Leiden und Ungerechtigkeit praktische Solidarität üben lernen. „Es gibt eine Toleranz, die nur Ersatz ist für Gleichgültigkeit“, erklärte Schorlemmer. Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung betonte, der Mensch sei „nicht zur Gewalt geboren“. Beim Thema Gewalt müsse man daher „nicht über Menschen reden, sondern in erster Linie über Männer“. Die Schriftstellerin Luise Rinser mahnte, Kriege entstünden „aus wirtschaftlichen Gründen“.

Die von der „Fördergemeinschaft zur Gründung einer Friedensuniversität“ jährlich veranstalteten Friedensgespräche dienen der Vorbereitung für die Gründung einer privaten internationalen Friedensuniversität in Potsdam. Die 1991 entstandene Initiative hat rund 600 Mitglieder in 45 Ländern. Die Schirmherrschaft für die Friedensuniversität, die voraussichtlich 1995 gegründet werden soll, haben neun Friedensnobelpreisträger übernommen, unter ihnen der Dalai Lama, der südafrikanische Bischof Desmond Tutu und der frühere US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger. Barbara Maaßen