Ach... und Ottos Mops

Der Heinrich-von-Kleist-Preis geht in diesem Jahr an Ernst Jandl. Solange Hirn und Ohren, Mund und Hände arbeiten, will Jandl weiterschreiben  ■ Von Bernd Imgrund

Anläßlich von Literaturpreisverleihungen machen es sich die Festtagsredner gerne zur Aufgabe, Parallelen aufzuzeigen zwischen dem Preisträger und jenem, in dessen Namen er verliehen wird. Im Falle Kleist-Jandl scheint das auf den ersten Blick nicht so einfach. Was haben der brandenburgische Dramatiker und Erzähler des frühen 19. Jahrhunderts und der Wiener Lyriker, Hörspiel- und Bühnenautor unserer Tage gemeinsam?

Ulrich Weinzierl, in diesem Jahr von der Kleist-Gesellschaft mit der Ernennung des Preisträgers beauftragt, verwies in seiner Laudatio auf den Wortkünstler Kleist, um Berührungspunkte aufzuspüren. Denn Kleist war nicht nur ein Meister der verschlungenen Hypotaxe, sondern zugleich ein Komprimierungskünstler, dem es etwa im „Bettelweib von Locarno“ gelang, trotz scheinbar endloser Satzgeflechte auf wenigen Seiten eine äußerst komplexe und abgerundete Erzählung zu verdichten. Das herausragendste Beispiel der Kleistschen Konzentrationstechnik findet sich am Ende seines „Amphitrion“, wo das von Alkmene gesprochene Wörtchen „Ach“ der Regie ein unendliches Netz von Deutungsmöglichkeiten hinterläßt, von Verzweiflung und Resignation über Trauer und Schrecken bis hin zu beißendem Hohn und Spott.

Diesem Aspekt des Kleistschen ×uvres stellte Weinzierl den „Minimalisten“ Ernst Jandl zur Seite, der in seinem berühmtesten Gedicht von „ottos mops“ mit einem Vokal auskommt, in „schtzngrmm“ gar unter dem Verzicht auf jegliche Selbstlaute eine Alphabetisierung der Kriegsschrecken hervorbringt, indem dieses Lautgedicht die Geräusche von Maschinengewehrsalven und Querschlägern simuliert.

In seiner Lobrede im Schloßtheater des Neuen Palais von Sanssouci verwies Weinzierl insbesondere auf das Alterswerk Jandls, der bereits 1984 mit dem anderen großen deutschen Literaturpreis, benannt nach Georg Büchner, ausgezeichnet worden war. Vor allem in seinem 1989 erschienenen Band „Idyllen“ umkreist der mittlerweile 68jährige Jandl die Themen Alter, Verfall und Tod, etwa in dem Gedicht „alternder dichter“, zweite Strophe: „ach wie klein ich geworden bin / werde ich mir sagen / keinem verstellt meine stirn mehr den blick / ich bin sehr in mich zusammengesunken / mir ist so bang“.

Anders als in diesen aufseufzenden Versen begegnen viele von Jandls unidyllischen „Idyllen“ dem unvermeidlichen Ende mit Ironie und Trotz. Weinzierl sprach in diesem Zusammenhang von „Eigenschadenfreude“ und einer „Prise suizidaler Heiterkeit“, mit der Jandl seine „Hinfälligkeits- und Todeslitaneien“ präsentiere. Und so entwickelte der Preisträger während seiner Dankesrede eine Phänomenologie des literarischen Lebendig-Seins, in der der allgemeine körperliche Verfall zurücktritt hinter die andauernde Funktionstüchtigkeit des Hirns, des Atems, des Mundes, der Kehle, des Ohrs und der Hände – jener Instrumente, derer es zum Lesen, Sprechen und Schreiben ausschließlich bedarf. Während Jandl die Hervorbringung der Sprache als die „glänzendste Leistung“ des Menschen bezeichnete, sei es doch „das Wunderbarste“, daß er sie, als „Generator der Zukunft“, zudem „auf dem Wege von Mund zu Ohr aus der Luft gerissen hat“ – durch die Schrift.