Energiekonsens ohne Kompromiß

■ Neues Konsenspapier /Industrie könnte sich freuen

Berlin (taz) – Die Unterhändler der Arbeitsgruppe Kernenergie für den Energiekonsens sollen sich am Samstag auf ein gemeinsames Papier zur Zukunft der Atomkraft in Deutschland geeinigt haben. Nach einem Bericht der Welt am Sonntag würde danach die neue Siemens-Plutoniumfabrik in Hanau nicht in Betrieb gehen und für das Atommüllendlager Gorleben ein Bau-Moratorium bis zum Jahr 2005 gelten. In Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Baden-Württemberg würde oberirdisch nach Alternativstandorten für Gorleben gesucht werden. Im Jahr 2005 sollen dann die Ministerpräsidenten der Länder und der Bundeskanzler mit Zweidrittelmehrheit über einen Endlagerstandort und die Zukunft der Atomkraft entscheiden.

Die Staatskanzlei in Hannover kannte das Papier gestern nicht, obwohl der energiepolitische Berater von Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD), Werner Müller, an der Formulierung beteiligt sein soll. Vielmehr werde Ministerpräsident Gerhard Schröder erst heute mit einem 20seitigem Papier ins SPD-Präsidium gehen, hieß es. Der Chef der NRW- Staatskanzlei, Wolfgang Clement, will dieses nicht nur den Atombereich umfassende Ergebnis gemeinsam mit Schröder verteidigen. Abweichend vom WAMS-Bericht sagte Clement, die Zweidrittelmehrheit für die Einführung einer neuen Reaktorgeneration müsse in der Verfassung verankert sein. Die Laufzeiten für die bundesdeutschen Atommeiler seien auch noch strittig.

Der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Müller, kündigte gestern Widerstand gegen Schröders Papier an. Die SPD-Fraktion in Bonn stehe nicht hinter den bekanntgewordenen Verhandlungsergebnissen. „Ich halte das bisherige Verhandlungsergebnis für einen Skandal, eine unmögliche Sache.“ Ein Strukturwandel in der Energieversorgung werde auch mit der geplanten kleinen Umschichtung von Kohlesubventionen auf erneuerbare Energien nicht eingeleitet. „Man hätte die Gespräche in der Form gar nicht erst beginnen dürfen.“ Zum Atomkompromiß meinte er nur: „Die Industrie gibt überhaupt nichts für das ganze Geschäft.“

Die Stromwirtschaft dürfte sich in der Tat freuen, sollte das in der WAMS zitierte Papier beschlossen werden. Die derzeit betriebenen Atommeiler sollen danach jeweils 35 bis 40 Vollastjahre laufen dürfen. Das entspräche bis zu 60 Betriebsjahren – keine Rede mehr vom 10-Jahres-Ausstieg der SPD.

Das brennendste Problem der AKW-Betreiber, wohin mit dem Atommüll, scheint eigentlich schon seit Wochen formal gelöst. Der hochradioaktive Atommüll dürfte bis 2005 weiter in Gorleben und Ahaus zwischengelagert werden, das soll dann als Entsorgung gelten. Dazu hatte Schröder in der taz schon Einverständnis signalisiert. Niedrig- und mittelradioaktiver Müll soll zudem im Schacht Konrad bei Salzgitter vergraben werden können.

Auch zur Frage des neuen Siemens-Framatome-Reaktors gibt es hinter den Kulissen schon Einigkeit. Siemens darf in Bayern prinzipiell einen Vorstoß für einen neuen vorgeblich sichereren 1.500 Megawatt-Reaktor unternehmen. Siemens-Vorstand Adolf Hüttl hat am Wochenende allerdings erklärt, man wolle den neuen Reaktor gar nicht mehr bauen. „Es reicht aus, wenn der Bau nur genehmigt wird.“ Das sei ein Werbeargument für den Export.

Als Autoren des Konsenspapiers nennt die WAMS neben Werner Müller den Leiter der Atomabteilung im Bundesumweltministerium, Walter Hohlefelder. Als Bonbon für die Landesregierung in Hannover sieht das Papier noch vor, auf die Pilotkonditionierungsanlage zur Verpackung hochradioaktiven Mülls in Gorleben zu verzichten. H.-J. Tenhagen