Chefärzte kassieren Millionenbeträge

1992 rechneten 118 liquidationsberechtigte Ärzte in Berlin insgesamt 40 Millionen Mark Nebenverdienste ab / Bündnis 90/Grüne will Nebenverdienste über 250.000 Mark jährlich kappen  ■ Von Dieter Rulff

Wer bislang meinte, der Regierende Bürgermeister sei der Spitzenverdiener unter Berlins öffentlich Bediensteten, sieht sich getäuscht. Mit seinen 20.000 Mark monatlich schleppt Eberhard Diepgen gerademal einen Bruchteil dessen nach Hause, was sich die Chefärzte an den Krankenhäusern der Stadt auf ihre Konten überweisen lassen. Zwar kassieren sie als Beamte lediglich das 150.000-Mark-Jahresgehalt eines ordentlichen Professors der Besoldungsgruppe C 4, doch ermöglichen ihnen ihre Nebentätigkeiten ein stattliches Zubrot.

16 Ärzte an den beiden Universitätsklinika Steglitz und Rudolf Virchow verdienten im letzten Jahr, neben ihrem regulären Gehalt, durch die Abrechnung von Privat- und Kassenpatienten mehr als 800.000 Mark. Der Spitzenverdiener unter ihnen brachte es gar auf eine Nebeneinnahme von über fünf Millionen Mark.

Insgesamt rechneten 1992 118 liquidationsberechtigte Ärzte in Berlin eine Gesamt-Nebeneinnahme von 40 Millionen Mark ab, davon wurden 39,27 Millionen Mark in den beiden Westberliner Klinika kassiert, nur 731.800 Mark entfielen auf die Ärzte an der Charité. Damit hat sich deren Nebentätigkeit allerdings, wenn auch im kleinen, drastisch erhöht. Noch ein Jahr zuvor bezogen sie lediglich 150.000 Mark.

Noch 1989 betrugen die Aufwendungen für Nebentätigkeiten 30 Millionen Mark, seitdem sind sie um 25 Prozent gestiegen – und der Trend hält an. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne will dieser Einnahmequelle nun einen Riegel vorschieben. Sie hat einen Antrag ins Abgeordnetenhaus eingebracht, wonach alle Nebenverdienste, die die Summe von 250.000 Mark jährlich übersteigen, gekappt werden. Was darüber hinausgeht, soll hundertprozentig als Nutzungsentgelt verrechnet werden. Bislang stehen den Ärzten die Apparaturen der Krankenhäuser für ihre Behandlungen zur Verfügung. Dafür müssen sie lediglich im Durchschnitt 20 bis 42,26 Prozent ihrer Einnahmen an die Kliniken als Nutzungsentgelt abführen. Für den gesundheitspolitischen Sprecher des Bündnis 90/Grüne Bernd Köppl ist es „ein Unding“, daß die Kliniken mit ihrer millionenteuren Technik den Chefärzten ermöglichen, „so in die eigene Tasche zu wirtschaften“. Er hält angesichts der öffentlichen Finanzknappheit solche Einnahmeentwicklungen wie bei den Medizinern für „nicht mehr tolerabel“. „Eindeutig illegal“ ist in seinen Augen die Privatliquidation durch die Chefärzte, selbst in Zeiten, in denen diese Urlaub machen.

Der Unterausschuß „Krankenhaus“ des Hauptausschusses hat mit den Stimmen aller Parteien der Wissenschaftsverwaltung einen Berichtsauftrag erteilt, in dem sie dieser Praxis nachgehen soll. Sie soll zugleich die Gewohnheit mancher Chefärzte überprüfen, Behandlungen, die sie selber abrechnen, durch Assistenzärzte ausführen zu lassen. Dies ist allenfalls erlaubt, wenn der Patient eine Einverständniserklärung unterschreibt.

Sollte das Parlament dem Antrag des Bündnis 90/Grüne folgen, würden den defizitären Krankenhäusern etwa 20 bis 25 Millionen Mark zufließen, vorausgesetzt, die Chefärzte erhalten ihre Leistungen dann noch im vollen Umfang aufrecht. Der Wissenschaftsverwaltung sind die Einkunfts-Mißverhältnisse an den Klinika bekannt. Sprecherin Monika Grütters verweist jedoch darauf, daß dies ein „bundesweites Problem“ sei, das nur durch eine Änderung der bundesrechtlichen Regelungen angegangen werden könnte. Zudem würde eine Änderung der Verordnung im Sinne von Bündnis 90/ Grüne ihrer Einschätzung nach zu einer Reduzierung des Behandlungsangebotes führen.

Diese Befürchtung ist für Köppl nicht stichhaltig. Das Argument, so merkt er süffisant an, werde von den Professoren nicht selbst vorgetragen, weil sie, so jedenfalls nach ihren eigenen Aussagen, diese zusätzliche Arbeit nur zum „Wohle des Patienten durchführen“.