Vollzug der Ehe hinter Gittern

■ Ausgewählte gefangene dürfen in der JVA Tegel mit ihrer Partnerin ungestört mehrere Stunden zusammensein / Modellprojekt soll vorsichtig ausgeweitet werden

Die meisten Zellen im Männerknast sind mit Pin-up-Girls bepflastert, die Hafträume der Frauen zieren Kultbilder von männlichen Stars. „Sexualität im Knast“, weiß der Grünen-Abgeordnete Albert Eckert aus unzähligen Gesprächen mit Gefangenen, „hat mehr mit Sehnsucht als mit Erfüllung zu tun: Sie tobt im Kopf.“ Sexualität im Gefängnis, das ist Selbstbefriedigung und gleichgeschlechtliche, oftmals mit Gewalt verbundene Prostitution: „Wer seine Drogenschulden nicht bezahlt hat“, so ist Eckert aus Tegel zu Ohren gekommen, „kann von Glück sagen, wenn er nicht zusammengeschlagen wird, sondern nur für einen Fick den Arsch hinhalten muß.“

Wie oft haben sich Gefängnisinsassen nicht schon gewünscht, mit der Freundin oder dem Freund beim Besuch für ein paar Stunden in der Zelle zu verschwinden, statt im Gruppensprechraum nur Händchen halten zu dürfen. Doch das wird für das Gros der Berliner Gefangenen ein Wunschtraum bleiben. Auf eine Anfrage von Albert Eckert räumte Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) jetzt zwar offen ein, „daß sexueller Verkehr, sofern er sich mit der Befriedigung von Liebes- und Zärtlichkeitsbedürfnissen verbindet und nicht destruktiven Zwecken dient, Partnerschaften fördern und festigen kann“. Aber so etwas könne nur in begrenztem Umfang im Knast zugelassen werden, um „Sicherheit und Ordnung“ nicht zu gefährden.

Die unkontrollierte „familienfreundliche Langzeitsprechstunde“, bei der der Insasse mit seinem Besuch intim werden kann, gibt es bislang nur in wenigen deutschen Haftanstalten für kleine Gruppen Privilegierter. In Berlin wurde das Projekt vor gut drei Jahren von der rot-grünen Koalition für ausgewählte männliche Insassen der „Sozialtherapeutischen Anstalt“ (SothA) im Tegler Haus IV eingeführt. Teilnehmen dürfen jedoch nur Insassen, die noch keinen Freigang oder Urlaub gehabt haben und mit der Partnerin schon vor der Haft nachweisbar liiert gewesen sind.

In der SothA machen monatlich rund 16 Gefangene von der Langzeitsprechstunde Gebrauch. Zweimal im Monat jeweils bis zu sechs Stunden können sie ihre Frau, Freundin oder Familie in einer kleinen Wohnung im Verwaltungstrakt empfangen, die aus einem mit Betten und Spielzeug ausgestatteten Kinderzimmer und einem Wohnzimmer mit Tisch und Sitzmöbeln, Couchbett, Fernseher und Kochgelegenheit besteht. Die Erfahrungen mit dem Projekt beschreibt SothA-Leiterin Brigitte Essler als sehr positiv. Die ungestörte Besuchsmöglichkeit diene dazu, die Beziehungen und familiären Kontakte der Insassen aufrechtzuerhalten und zu fördern. Die Erfahrungen würden in einer begleitenden Therapie aufgearbeitet. Ein wiederkehrendes Problem laut Essler: Während der langen Haftzeit beginnen die Partner sich zu idealisieren und haben große Versagensängste im Bett. Während der gesamten 844 Sprechstunden, an denen auch viele Sexualstraftäter teilgenommen hätten, sei es kein einziges Mal zu Gewalttätigkeiten gegen Besucherinnen gekommen. Lediglich in zwei Fällen sei die Sprechstunde vor der Zeit abgebrochen worden. Die „Wohnung“ sei mit Telefon und Alarmmeldern ausgestattet, über die jederzeit Hilfe gerufen werden könne.

Eine Ausdehnung des Projektes auf andere Bereiche des Knastes ist geplant. Nach Angaben des Referatsleiters der Abteilung Strafvollzug, Wolf-Dieter Krebs, soll die Langzeitsprechstunde voraussichtlich im kommenden Jahr auf die 180 Insassen des sogenannten „drogenfreien Bereiches“ im Tegler Haus V erweitert werden. Falls das Angebot von den Gefangenen des Hauses V nicht voll ausgeschöpft wird, könnten möglicherweise „auch noch andere geeignete Bereiche partizipieren“, meint Krebs. Drogenabhängige Gefangene kämen jedoch allenfalls „in Einzelfällen“ in den Genuß der Regel, um auszuschließen, daß auf diesem Wege noch mehr Drogen in die Anstalt gebracht werden.

Psychologin Essler ist von dem Resozialsierungsprojekt so überzeugt, daß sie die Langzeitsprechstunde in der SothA sobald wie möglich auf die ganze Nacht ausdehnen will. Auf die Frage, ob homosexuelle Paare daran teilnähmen, sagt sie, es sei deshalb noch niemand an sie herangetreten. Das Projekt auch in anderen Haftanstalten auszubauen, hält Essler „in jedem Fall für lohnenswert“. Aber das gehe nur in kleinen Schritten, sonst diffamiere die Boulevardpresse das Ganze wieder als Hotelvollzug und „Liebeszellen“. Daß in den ganzen drei Jahren nur ein Gefangener nach einer Langzeitsprechstunde Vater geworden ist, wertet Essler als Beweis dafür, daß die Gespräche über Verhütung fruchtbar sind. Aber das erste Tegler Baby ist es nicht. Es wurde vor langer Zeit bei einer ganz normalen Sprechstunde gezeugt. Nach der Geburt verklagte die Mutter den damaligen Justizsenator Rupert Scholz auf Unterhalt – ohne Erfolg. Plutonia Plarre