„Pazifik droht Öko-Katastrophe“

■ Russische Marine gibt es unumwunden zu, will aber trotzdem weiter Atommüll im Meer versenken

Berlin/Oslo (taz) – Rußland will die Meere weiter radioaktiv verseuchen – wenn der Westen nicht mit Milliarden hilft. Erst vor ein paar Tagen hatte die Regierung in Moskau den Japanern versprochen, künftig keine radioaktiven Stoffe mehr ins Japanische Meer zu kippen. Jetzt soll der Abfall der russischen Marine im Pazifik und in arktischen Gewässern landen. Die offizielle Meldung von Itar-TASS gleicht einem Hilfeschrei. „Wenn nicht bald entscheidende Maßnahmen ergriffen werden, droht dem gesamten fernen Osten eine ökologische Katastrophe“, zitiert die Agentur den Leiter der Marine in den fernöstlichen Seegebieten, Jewgeni Nasdratenko. Klar ist: Ohne Geld und technische Hilfe aus dem Ausland werden auch künftig die ausgemusterten russischen Atom-U-Boote auf dem Meeresboden enden.

Vor etwa zwei Wochen hatten Greenpeace-AktivistInnen die Verklappung von 900 Tonnen radioaktiver Flüssigabfälle dokumentiert. Nach einigen Tagen entschloß sich Japan zum offiziellen Protest. Letzte Woche dann versprachen die Russen, auf die Versenkung einer zweiten Ladung zu verzichten. Anschließend beteuerten sie sogar, die Verklappung von Atommüll ganz einzustellen, wenn sie vom Ausland beim Bau von Entsorgungsanlagen unterstützt würden.

Daß die Praxis internationale Verträge verletzt, hatte bereits eine von Präsident Boris Jelzin eingesetzte Kommission beklagt. Aber die Marine ist so knapp bei Kasse, daß sie nicht einmal eine einigermaßen sichere Zwischenlagerung in der sibirischen Wiederaufbereitungsanlage in Tscheljabinsk bezahlen kann. Außerdem ist sie offenbar technisch nicht einmal in der Lage, die hochradioaktiven Brennstäbe aus den U-Booten auszubauen. So rotten die meisten Schiffe noch mit ihrer gefährlichen Ladung an Bord in verschiedenen Hafenbecken vor sich hin. Viele Unterseebotte lägen „randvoll mit radioaktiv verseuchten Abfällen in verschiedenen Fernosthäfen Rußlands“, so Nasdratenko. Mindestens bis zum Jahr 1997 will das russische Militär an der Atommüllversenkung festhalten, hatten die Jelzin-Berater in ihrem Bericht festgehalten.

Für westliche Geheimdienste war es nie ein Geheimnis, daß die Sowjetunion in großen Mengen Atommüll ins Meer kippt. Die USA, deren Satelliten diese Praxis als erste registrierten, hängten ihre Erkenntnisse jedoch nicht an die große Glocke – um einer Diskussion über den eigenen Umgang mit Atommüll keinen Vorschub zu leisten. Japan selbst mußte vor ein paar Tagen zugeben, daß es die hohe See ebenfalls häufiger als Kloake benutzt. Und auch die skandinavischen Regierungen behielten ihr Wissen über die Verklappungen durch die Russen lieber für sich. Sollten etwa die Fischexporte aus dem möglicherweise strahlenden Meer keine AbnehmerInnen mehr finden? Und so war es wohl auch nur mehr aus Versehen, als im vergangenen Jahr Arne Skjaerper, Pressesprecher des Verteidigungskommandos Nordnorwegen, eingestand: „Ja, wir beobachten dort seit Jahren regelmäßig verdächtige Schiffe, die etwas abladen.“ Der radioaktive russische Müll lagert unterdessen weiter sogar in dicht bewohnten Gegenden, wie im Hafen der Halb-Millionenstadt Murmansk. Knut Gussgard, Chef der norwergischen Strahlenschutzbehörde, fragt: „Was passiert bei einem Brand, einer Schiffskollision oder einfach nur bei einem Verrutschen der Ladung – und der Brennstäbe? Genau das, was in Tschernobyl passiert ist.“

Kein Wunder, daß es Umweltschutzgruppen in Murmansk schon als gewaltigen Fortschritt ansehen würden, wenn tatsächlich, wie angekündigt, auf der Atomversuchsinsel Nowaja Semlja das gefährliche Material abgelagert würde. Denn der Anfall von Atommüll wird noch jahrelang unvermindert anhalten, vermutlich sogar zunehmen. Rußland hat die größte Atom-U-Boot-Flotte der Welt. Bis zum Jahr 2000 sollen etwa die Hälfte der einst 128 Schiffe ausgemustert sein. So sehen es die internationalen START-Abkommen vor. Zwischen 1959 und 1992 soll Rußland in den Nordmeeren Flüssigabfälle mit 20.600 Curie und Festabfälle mit 2,3 Millionen Curie versenkt haben. In den südlichen und östlichen Gewässern waren es insgesamt etwa 20.000 Curie. aje/RW