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Die Patrouillenkatze Von Claudia Kohlhase

Ein Etwas stolziert durch unser Viertel, das ist grauweiß und sieht nach dem Rechten. Es sieht aus wie eine Katze, aber in Wirklichkeit ist es ein kleiner Kontrolleur, Gott weiß, von wem geschickt.

Es marschiert jedenfalls auf vier Pfoten um alle Ecken und sieht nach, ob wir über den Zebrastreifen laufen oder daneben oder wieder bei Rot. Wer ihm begegnet, der steht innerlich stramm, weil: wer weiß, wohin am Ende Fehlverhalten gemeldet wird.

Dabei läuft der Kontrolleur selbst hin und her, wie oder wann's ihm paßt – als würden für ihn keine Regeln gelten oder träten so lange außer Kraft, bis er drüben ist. Manchmal quietscht dann ein Auto; aber immer noch rechtzeitig, wie es sich für Helden gehört. Als echter lonesome Streuner zieht man eben die Gefahr auf sich, würdigt sie aber keines Blickes.

Gerne inspiziert er das Schaufenster vom vornehmsten Schuhgeschäft am Platze, findet aber nie was. Dann haut er sich schon mal in den Eingang zum exzessiven Putzen: eine Art wildgewordener Schuhabtreter, gut, daß er das jetzt nicht hört. Drinnen die Schuhverkäuferinnen stehen sich solange die schicken Beine in den Bauch und wundern sich, warum so gar keiner kommt.

Noch lieber dekoriert er gegenüber das Schaufenster vom Dessous-Lädchen. Da sieht man dann Spitzenhöschen überall und Negligés und dergleichen und hinten rechts eben auch einen soliden Pelzknubbel. Meistens liegt er auf einem roten Body, das macht sich gut zu Grauweiß, und man sieht so schön die Katzenhaare; das kauft dann auch keiner mehr. Jedenfalls keine anständigen Damen. Das Schild am Fenster „Bitte nicht klopfen“ ist im Prinzip ein Witz, da er über einen totenähnlichen Schlaf verfügt und bloß die Besitzerin hinterm Vorhang aufwacht.

Wenn das Wetter gut ist, wechselt er nach dem Mittagsschlaf ins Eiscafé, um hier die korrekte Speiseeisproduktion zu überwachen. Getarnt als Gast auf einem Stuhl muß er meist enorm mißbilligen, wieviel Unmaß rings um ihn herum herrscht und vor allem wieviel fremde Sahne.

Bei schlechtem Wetter zieht er Lokale mit geschlossenen Türen vor und überprüft etwa die Küche in der Kunsthalle, wenn er meint, es guckt grade keiner. Dann schleicht er quasi aufrecht geduckt an der einen Wand lang, wo eventuell schon unterwegs Mahlzeiten herabfallen: Nein, kein Bettler, sondern einer, der abholt, was ihm zusteht. Und wer meint, er wäre doch schon ziemlich vollschlank, der hat einfach die falsche Perspektive.

Es soll vorkommen, daß ihn jemand verscheucht: da setzt er sich vor die Glastür und wartet zur Strafe auf kleine süße Vögel. Oder Mäuse, die er in mundgerechte Bissen zerlegt, bis drinnen allen schlecht wird. Danach erledigt er kleinere Kontrollgänge, die sein Geheimnis bleiben müssen, eben wegen der Kontrolle. Schließlich will er nicht erwartet werden, sonst kommt er nicht. Im Zweifelsfall ist er immer da, wo Tische und Stühle zusammenstehen, von denen Dinge herabfallen.

Uneingeweihte kommen manchmal auf die Idee, er sei niedlich oder ohne Aufgabe, und fahren Streichelarme aus. Da quetscht er sich würdevoll, aber schnell in die Gosse und hinterläßt eine kleine dicke Wolke von Verachtung, grauweiß.

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