Großes Palaver über Atomkraft half nicht

Konsensgespräche ohne Ergebnis beendet / Töpfer und Rexrodt kündigen Gesetzesinitiativen an / Schröder beklagt Unverstand in den eigenen Reihen und Sturheit bei der Regierung  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Am Mittwoch um 20 Uhr war alles vorbei. Nach zwei Stunden stellten die Noch-Beteiligten der fünften Parteiengesprächsrunde über einen künftigen Energiekonsens erwartungsgemäß fest, daß weitere Diskussionen keinen Sinn machen. Die Grünen hatten die Konsensrunde, die am 8. Februar das erste Mal zusammengetreten war, schon im Sommer verlassen. Auch die Gespräche der sogenannten „gesellschaftlichen Gruppen“, der Energieunternehmen, Gewerkschaften und Umweltverbände, haben jetzt keine Zukunft mehr. Zwar soll das für den 9. November angesetzte Gespräch stattfinden, dabei wird es aber, wie Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) sagte, nur noch um „Abwicklung“ gehen. Das Regierungslager kündigte ein umfangreiches Artikelgesetz zur Atomenergie, der Atommüllentsorgung und zur Kohlepolitik an.

Rexrodt, Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) und der bayerische Umweltminister Peter Gauweiler (CSU) teilten gestern wortreich der SPD die Verantwortung für das Scheitern der Gespräche zu. Deren Chef-Unterhändler, der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder, hatte sich am Montag im Präsidium seiner Partei nicht mit seiner Position durchsetzen können, die Option auf eine neue Reaktorlinie offenzuhalten. Die Gespräche seien „an der dogmatischen Position der SPD gescheitert“, kommentierte Töpfer. Schröder und der Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, Wolfgang Clement (ebenfalls SPD), hätten feststellen müssen, daß sie in ihrer Partei keine Mehrheit haben. Töpfer bedauerte dies um so heftiger, als die Gespäche „außerordentlich nah vor einem Durchbruch“ gewesen seien.

„Enttäuscht“ zeigte sich auch Gauweiler, zumal „unsere Verhandlungspartner so kurz vor dem Ziel zurückgepfiffen wurden.“ Der volkstümliche Bayer sprach Schröder „einen Punkt wegen Tapferkeit vor dem Freund“ zu. Der so Gelobte machte indessen deutlich, daß es nur in Maßen Grund gibt, ihn zum Kronzeugen gegen das eigene Lager zu machen. Denn sortiert man die gescheiterte Konsensrunde nicht nach Parteien, sondern nach gesellschaftlichen Lagern – hie die Atomkraftbefürworter, da die Gegner –, dann wurde auf den Pressekonferenzen auch sehr deutlich, daß die Unterhändler keineswegs kurz vor dem Durchbruch standen. Neben der spektakulären taktischen Differenz innerhalb der SPD ging beinah unter, daß es unverändert gegensätzliche Zielrichtungen gibt. „In keiner Phase haben wir das Ob einer Option erörtert, immer nur das Wie“, stellte Töpfer klar. „Eine reale Chance“ für die Kernenergie will der Umweltminister nun in dem Artikelgesetz sicherstellen.

Daß die SPD ihren Zehnjahresbeschluß für den Ausstieg als Illusion erkannt habe, galt Töpfer und Gauweiler als Erfolg. Letzterer vermeldete als wichtiges Ergebnis, daß die Debatte zur „Klärung in den eigenen Reihen“ beigetragen habe: Zukunft für die Kernenergie. Auch der liberale Koalitionspartner hielt beinhart an der „Option Kernenergie“ fest. Rexrodt: Die SPD-Position sei äußerst gefährlich, für den Arbeitsmarkt, die Energiepolitik, für Deutschland. Schröder dagegen: Sein Papier habe „einen sehr rationalen Weg des Ausstiegs“ beschrieben. „Mein Ansatz war, aus dieser besonders gefährlichen Form der Energieerzeugung rauszukommen.“ Die Regierungsparteien versteiften sich immer noch auf das „Abenteuer Kernenergie“ und seien auf einen Fahrplan für die Abschaltung nicht eingegangen. Die SPD habe sich bewegt, etwa mit der Bereitschaft, über die Restlaufzeiten für jedes einzelne AKW zu verhandeln. Darauf aber sei die Koalition nicht eingegangen. Auch SPD-Chef Scharping wiederholte, daß die SPD auf einem „geordneten Ausstieg“ beharren werde.