„Brutal, aber wirksam“

■ Die Folgen des neuen Gesundheitsgesetzes

Schwarz war der Wandvorhang, vor dem am Donnerstag sechs VertreterInnen aus Gesundheitswesen und von Betroffenen-Verbänden in der Angestelltenkammer diskutierten. Eingeladen hatte der ‘Bremer Topf‘ auf seinem 4. Selbsthilfetag, im Mittelpunkt stand die Frage: Ist „Gesundheit noch bezahlbar“? Ebenfalls schwarz sah auch die Vertreterin der 'Vereinigung Morbus Bechterew', Carmen Vogel, am Ende der Veranstaltung: Für chronisch Kranke werde das neue Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) eine Reihe weiterer Verschlechterungen bringen.

Die Bonner Regierungskoalition will im neuen Gesetz (seit 1.1.93 in Kraft) in weitgehender Übereinstimmung mit der SPD weitere Steigerungen der Krankenversicherungsbeiträge verhindern. Versicherungsbeiträge von über 14%, so Jochen Eckertz als Vertreter der Senatorin für Gesundheit, seien der Bevölkerung „nicht mehr vermittelbar“. Nicht nur sind die Ärzte jetzt verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Kostengrenze Medikamente zu verschreiben, sondern die Patienten müssen von nun an auch tiefer in den eigenen Geldbeutel greifen.

Dies, stellte der Vertreter der CF-Selbsthilfegruppe, Harro Bossen fest, sei für NormalbürgerInnen bezahlbar, nicht jedoch für Menschen, die auf Dauer medizinischer Hilfe bedürften. So müßte beispielsweise ein an Cyrrischer Firose (CF - einer Gewebe-Erkrankung) Erkrankter monatlich rund 300 Mark für Medikamente ausgeben. Zwar könne er sich den Betrag von den Versicherungen zurückerstatten lassen - jedoch erst am Jahresende. Bis dahin aber müsse jeder Erkrankte mit seinem Geld knapsen - für Arbeitslose sei dies kaum zu schaffen.

Vorteile sahen die DiskussionsteilnehmerInnen hingegen bei der Verschreibungsbeschränkung für Ärzte, die, so Jochen Eckertz, „brutal aber extrem wirksam“ sei. Denn rund ein Drittel aller noch bis 1992 verschriebenen Medikamente seien wirkungslos, gestand Michael Neumann von der Kassenärztlichen Vereinigung. Jetzt zwinge die Verschreibungsbeschränkung die Ärzte verantwortungsvoller bei der Vergabe von Rezepten zu sein. Allein dadurch seien rund 20% aller medizinischen Kosten eingespart worden, ohne daß die Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln gefährdet sei. Eine sogenannte 'Positiv-Liste', auf der - vermutlich zum Unbehagen der Pharma-Industrie - nur die tatsächlich wirksamen Medikamente vermerkt würden, sei in Arbeit, sagte Neumann.

Doch zum Frohlocken war weder dem nur mäßig erschienenen Publikum, noch den VertreterInnen der Betoffenen-Verbände zumute. Der CF-Kranke Bossen meinte, das Solidaritätsprinzip, nach dem die Gesunden zum Wohle der Erkrankten auf einen Teil ihres Geldes verzichteten, sei mit dem GSG gebrochen worden.

Die Vertreterin des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen, Andrea Kaula, ordnete diesen Bruch in das politische Konzept der Bonner Regierung ein: Bei der Diskussion um den 'Standort Deutschland' gehe es generell um Leistungskürzungen zu ungunsten von Minderheiten. Die nächsten Jahre werden, so Kaula, auch in Bremen vom Kampf gegen Leistungskürzungen aller Art geprägt sein. Arvid Friebe