Artensterben

Ende eines Kollektivs. Gespräch mit Lektor Martin Bauer über den Verkauf des Rotbuch-Verlags  ■ Von Jörg Lau

Vor 20 Jahren hat sich das Rotbuch-Kollektiv als Abspaltung des Verlags Klaus Wagenbach gebildet und wurde eine zentrale Institution der linken Gegenöffentlichkeit. Rotbücher wie Peter Schneiders Roman „Lenz“ und die Seyfried- Comics waren in den siebziger Jahren in allen WG-Regalen zu finden. Wird „Rotbuch“ durch den Verkauf an die Europäische Verlagsanstalt in Hamburg nun ein ganz normaler Verlag?

taz: Der Rotbuch-Verlag wird nach dem geplanten Verkauf aufhören, als Kollektiv zu existieren. Was sind die Gründe für solche weitreichenden Maßnahmen?

Martin Bauer: Es gibt natürlich eine Reihe von Gründen. Es ist schwierig geworden, mit belletristischen Büchern und mit einem ambitionierten Sachbuchprogramm genügend Geld zu verdienen, um als mittlerer Verlag zu überleben. Wir sind nun bei der Analyse unserer Situation zu dem Schluß gekommen, daß wir, um gravierendere Probleme zu vermeiden, zu reagieren haben. Die Prämisse dabei war, das programmatische Profil, was Sachbuch und Belletristik angeht, zu erhalten. Nach dem Versuch, unser Kapital aufzustocken – durch stille Teilhaberschaften oder ähnliches –, zeigte sich dann aber, daß wir an einem Verkauf wohl nicht vorbeikommen. Der Grund für den Verkauf zum jetzigen Zeitpunkt war der Wunsch, perspektivisches Arbeiten sicherzustellen. Der Verlag war nicht in einer finanziell prekären Situation, war aber mit der Aussicht konfrontiert, auf eine solche Situation zuzusteuern, und dann haben wir im Vorfeld reagiert.

Bedeutet diese Entscheidung denn nicht doch am Ende den Ausverkauf?

Es ist bestimmt kein Ausverkauf. Das war eine wesentliche Prämisse für unsere Überlegungen, es gar nicht erst zum Ausverkauf kommen zu lassen, eben nicht in eine Situation zu kommen, wo man sozusagen an den Meistbietenden die interessantesten Titel verramscht. Es ging darum, die Fortentwicklung dessen zu sichern, was 20 Jahre Rotbuch an programmatischer Fülle gebracht haben.

Dann erfolgt also der Verkauf jetzt, um zu sichern, daß der Rotbuch-Verlag überhaupt handlungsfähig bleibt?

Genau. Das war die Entscheidung, und das Problem war eben, abzuwägen zwischen dem Wunsch, handlungsfähig zu bleiben und dem Wunsch, die spezifische Arbeitsstruktur des Verlags zu erhalten – das Kollektiv. Daran festzuhalten hätte bedeutet, hohe persönliche Risiken finanzieller Art einzugehen und am Ende womöglich doch nur den Mangel zu verwalten. Das war die Alternative. Und es war kein geringes Opfer, am Ende auf diese kollektive Arbeitsform und die spezifische Art, wie hier Bücher gemacht werden, zu verzichten.

Wenn man die Gründe für diese Entwicklung in den Blick bekommen will, muß man dann nicht neben den strukturell-wirtschaftlichen auch publikumssoziologische Veränderungen berücksichtigen?

Das Problem war sicher auch ein publikumssoziologisches. Die klassische Rotbuch-Klientel ist wohl im Verschwinden begriffen, wenn sie nicht schon ganz verschwunden ist. Es gibt zwar noch eine Menge Leute, die so eine sentimentale, biographisch vermittelte Beziehung zu diesem Label haben, aber die haben oft ihr Leseverhalten verändert und kaufen unsere Bücher nicht mehr. Andererseits sind wir bei Umfragen auf eine Menge Leute gestoßen, die Rotbücher kaufen, aber den Namen Rotbuch gar nicht mehr mit bestimmten politischen Ereignissen der späten sechziger Jahre und ihren Folgen verbinden. Die haben nicht unbedingt eine Vorstellung davon, wofür dieser Name steht. Eine erstaunliche Schere klafft zwischen diesen beiden Gruppen. Das war in der Tat ein Problem des Verlags. Dabei waren wir ja keine linke Antiquität. Wir haben ja in beiden großen Programmsegmenten, in der Belletristik wie im Sachbuch, in den letzten Jahren die Fenster aufgemacht. Vielleicht hat Rotbuch auch darunter zu leiden, daß es keine kanonische Literatur mehr gibt, die man unbedingt kennen muß, um im Kneipengespräch en vogue zu sein. Wenn ein kleiner Verlag seine corporate identity und auch seine materielle Situation dem Umstand verdankt, daß er über Jahre für bestimmte Szenen kanonische Texte verlegt hat, dann gerät er in Schwierigkeiten, wenn sich dieser Kanon auflöst.

Zur Identität des Verlags gehört doch wohl auch der Begriff „Gegenöffentlichkeit“. Ist das, was man einmal unter diesem Begriff verstanden hat, einfach weggebrochen, oder hat sich da was verwandelt?

Das Stichwort ist in der Tat sehr wichtig. Man kann zum einen die ganz allgemeine These aufstellen, was als Gegenöffentlichkeit in Angriff genommen wurde, sei ganz einfach Öffentlichkeit geworden, was ja etwa auch für die taz gilt, die zwar immer noch eine besondere Zeitung ist, aber doch eine Zeitung unter Zeitungen. Das Unternehmen Gegenöffentlichkeit bekommt natürlich im gleichen Maße Probleme, wie es erfolgreich ist. Wenn das, was unter dieser Parole angetreten ist, erst einmal Teil einer pluralisierten Öffentlichkeit geworden ist, ist es natürlich nicht mehr sexy. Das kann dann zwar als Erfolgsgeschichte nacherzählen, aber... Gut, Peter Schneider konnte damals seinen „Lenz“ nur in einer gegenöffentlichen Institution mit solchem Erfolg publizieren; andererseits hat der Erfolg dafür gebürgt, daß er dann eines Tages nicht mehr bei Rotbuch, sondern bei Rowohlt veröffentlichte.

Vielleicht sollten wir jetzt einmal von dem sehr emphatischen Begriff „Gegenöffentlichkeit“ heruntergehen und einfach von kleinen Verlagen sprechen. Kleine Verlage sind ja wichtig, um Lücken offenzuhalten, ebenso für junge Autoren in der Belletristik wie für neue Themen im Sachbuchbereich. Was passiert denn, wenn so viele von diesen wichtigen Institutionen wie der Rotbuch-Verlag nun in solche Schwierigkeiten geraten?

Das kann in der Tat gefährlich werden, weil die Kultur ja, wenn es um Innovation geht, auf Risikofreude angewiesen bleibt. Die Krise der kleinen Verlage führt unter Umständen eine Situation herbei, die bedenklich ist, weil innovative Stimmen in der Literatur dann schlicht und ergreifend ihren ersten Roman nicht mehr veröffentlichen und den zweiten vielleicht gar nicht mehr anfangen. Auch Leute, die den theoretischen Mainstream verlassen, sind auf Foren angewiesen – so klein sie auch sein mögen –, wo man ihnen erst einmal Gehör verschafft. Räume, in denen experimentierend gedacht und geschrieben werden kann, sind im Verschwinden, und ich glaube nicht, daß die Leere nach dem Verschwinden der kleinen Verlage durch die Risikofreude der großen wettgemacht werden kann. Wichtige Spielräume werden planiert. Das müssen die Leser begreifen.

Das heißt, man müßte so eine Art medienökologisches Bewußtsein...

...fordern, ganz genau. Man darf nicht die ewiggleichen Klagen über die Entwicklungen bei den elektronischen Medien anstimmen, wenn man nicht bereit ist, sich mit einem, sagen wir mal medienökologischen Solidarbeitrag dieser kleineren, riskanteren Verlagsunternehmen anzunehmen. Das geht ganz einfach, das läßt sich jeden Tag in fast jeder Buchhandlung durchführen. Die einzige Erklärung, die ich dafür habe, daß das noch nicht stattfindet, besagt, daß ein breiteres Bewußtsein für diese Probleme offenbar noch nicht entstanden ist.

Man könnte ja den ökologischen Vergleich noch weiter treiben, indem man wie die Verbraucherinitiativen für Produkte eintritt, deren Hersteller den schonenden Umgang mit geistigen Ressourcen garantiert.

Man müßte, glaube ich, klarmachen, wie prekär das Phänomen kulturelle Innovation ist. Daß das sich einfach nicht von selbst versteht, daß Leute sich die Qual antun, einen Roman zu schreiben. Um noch ein letztes Mal unsere Öko-Metaphorik zu bemühen: Das Feuilleton hat meiner Meinung nach auch die Aufgabe, das Bewußtsein für das Artensterben, für irreversible Verluste zu schärfen.

Ist es nicht auch schwieriger geworden, die packenden Debatten anzuzetteln, von denen der Erfolg des Sachbuchprogramms eines Verlags wie Rotbuch immer abgehangen hat?

In der Situation, auf die wir zugehen, geht es vielleicht gar nicht um die großen Debatten, sondern um die Wiederentdeckung der Tatsachen. Das wär dann auch die Arbeit, die Verlage zu leisten hätten, sozusagen wieder Lust zu machen auf die Auseinandersetzung mit ziemlich disparaten, heterogenen Wirklichkeiten.

Kommen wir noch einmal zu den technischen Details der Veränderungen, die nun beschlossen worden sind. Rotbuch wird also verkauft...

...an die Europäische Verlagsanstalt in Hamburg. Man erhofft sich von der Zusammenlegung sogenannte synergetische Effekte, was die Bewältigung von Vertrieb, Pressearbeit, überhaupt die ganze Verwaltung angeht. Da wird es eine gemeinsame Infrastruktur geben, und die trägt dann zwei unabhängig voneinander operierende Verlage. Was die Lektorate angeht, ist festgeschrieben, daß Rotbuch die Dinge weiterverfolgen kann, die hier in den letzten 20 Jahren gemacht wurden.

Wird der Verlag nach Hamburg verlegt werden?

Also zunächst gilt die Absprache, daß Rotbuch von Berlin weitergeführt wird.

Kann man denn einen Rotbuch- Verlag überhaupt in Hamburg machen? Kann man sich Seyfried- Comics über Hamburg vorstellen?

Wohl kaum. Wenn man sich allerdings die letzten Seyfried-Comics anguckt, sieht man, daß Seyfried völlig neue, sogar virtuelle Welten betritt.