Sondermüllverschiebung auf Asbest-Gelände

■ Toschi-Grundstück: Bauherr lud Asbest beim Nachbarn ab / Verseuchtes Gelände 1989 einfach zugeschüttet

Eine böse Überraschung erlebte Dachdeckermeister Gerd Achilles beim Neubau einer Lagerhalle auf dem Gelände der ehemaligen Toschi-Werke im Hemelinger Hafen: Schätzungsweise 400 Tonnen asbesthaltige Abfälle, Rohre und Rohrteile sowie hochgiftige Blauasbestreste fand er bei den Bauarbeiten unter seinem von der Stadt Bremen gepachteten Grundstück. Dabei handelt es sich offenbar um eine von vielen „kleinen Deponien“, so Jürgen Jahn vom Gewerbeaufsichtsamt, mit denen das gesamte Toschi-Grundstück, auf dem bis Ende der 80er Jahre Asbestzement und Asbestplatten hergestellt wurden, durchsetzt ist. Per Zufall entdeckte das Gewerbeaufsichtsamt Ende September die Erdaushubarbeiten und sperrte die Baustelle sofort: Asbestabfälle müssen als Sondermüll behandelt und — bei solch großen Mengen — von einer Fachfirma entsorgt werden. Dazu ist eine Abnahme-Erklärung einer Deponie notwendig, die den Asbestmüll in deklarierten Abschnitten vergräbt. Dachdeckermeister Achilles, entsetzt über die gefundene Menge, wandte sich nach der Sperrung mehrfach an die Stadt mit der Bitte um Hilfe bei der Entsorgung — allein die Deponiekosten hätten rund 75.000 Mark betragen, und das habe er nicht aufbringen können. Einen Monat lang ruhten die Bauarbeiten, denn von der Stadt, dem zuständigen Häfenressort, kam keine Antwort. „Die haben uns total hängenlassen“, sagt Achilles — und so ließ er letzte Woche den Asbestmüll selber ausbaggern und kippte ihn einfach auf das benachbarte städtische Gelände — laut Umweltpolizei mit den Worten: „Die haben mir ein asbestverseuchtes Grundstück verpachtet, dann sollen sie den Schiet auch zurückerhalten. Ich werf' denen das einfach vor die Tür.“ Gegen den Dachdecker läuft jetzt ein Ermittlungsverfahren wegen umweltgefährdender Abfallbeseitigung und Verstoß gegen die Gefahrenstoffverordnung. Der Asbesthaufen liegt dort noch heute.

Im Jahr 1977 hatte die Stadt das Toschi-Gelände zurückgekauft, ab 1981 verkaufte oder verpachtete sie es wieder an Unternehmen. Angeblich mit dem Hinweis, daß dort womöglich Asbestabfälle lagern: „Wir haben die Unternehmen über mögliche Belastungen nicht im Unklaren gelassen“, sagte gestern der Sprecher des Häfenressorts, Rüdiger Staats. Als Dachdecker Achilles sein Grundstück 1985 in Erbpacht nahm, sei von einer Asbestbelastung aber nie die Rede gewesen: „Wenn wir das gewußt hätten, hätten wir das ja niemals gemacht.“ Erst als ein Nachbar auf Asbestabfall gestoßen sei, sei er auf das Problem aufmerksam geworden.

Bei Messungen des hannoverschen Franzius-Institutes wurden im Jahr 1989 drastische Überschreitungen der Asbest- Grenzwerte in der Luft festgestellt; auf dem Achilles-Grundstück 18fach erhöhte Werte. Damals wurde die Entscheidung getroffen, die Altlasten nicht auszubuddeln — nicht nur, da die Kosten zu hoch gewesen wären, sondern auch, da eine Gefährdung eigentlich erst dann entsteht, wenn durch Arbeiten an asbesthaltigen Abfällen Asbestteilchen durch die Luft wirbeln und eingeatmet werden. Daraufhin wurde die gesamte „Toschi-Altlast“ 1989 zugeschüttet. Die Grünen hatten das damals als „unverantwortlich“ bezeichnet und gefordert, das gesamte Gelände zuzubetonieren.

Um weitere Gefahren und Entsorgungskosten zu verhindern — die Firma Toschi hatte längst Pleite gemacht und war als Verursacher nicht mehr haftbar — wurden den neuen Eigentümern und Pächtern in einzelnen Fällen Bauauflagen auch gemacht. So wurde in mehreren Baugenehmigungen festgeschrieben, daß das aufgeschüttete Erdreich nur flach ausgehoben werden darf, um die Altlasten nicht wieder auszubuddeln. Zudem war eine Versiegelung rund um die neuen Gebäude vorgeschrieben. Laut Aussage des Bauressorts sollen in allen Baugenehmigungen für das Toschi-Gelände auf die mögliche Asbestgefährdung hingewiesen und strenge Auflagen für den Bau erteilt worden sein.

Nicht im Fall Achilles. In der Baugenehmigung für die Lagerhalle gibt es keinerlei Hinweise auf Asbest oder Auflagen für die Bodenarbeiten. Achilles, der ursprünglich eigentlich auch nur flach ausbaggern wollte, sei sogar durch die Bauvorschriften gezwungen worden, tiefer auszuheben: „Dadurch sind wir überhaupt erst auf den Kram gestoßen.“

Die Abdeckung mit Erde sei das einzig sinnvolle Verfahren, so das Umweltressort im Jahr 1989. „Wenn sich demnächst die ersten Gewerbebetriebe auf dem verlassenen Gelände ansiedeln, wird der Boden durch deren Fundamente und Höfe sowieso versiegelt“, hoffte damals Abteilungsleiter Rolf Wundes. Diese Hoffnung erfüllte sich so einfach nicht. Susanne Kaiser