"Globaler Lügner"

■ Offener Brief von Giordano zu "Schreinemakers live", Sat. 1

Sehr geehrte Frau Schreinemakers,

ich entnehme der Presse, daß Sie, in Zusammenhang mit dem geplanten Auftritt des rechtsradikalen US-Bürgers und Vertreters der „Auschwitz-Lüge“, Fred A. Leuchter, die Staatsanwaltschaft einer „unüberlegten Zensuraktion“ bezichtigt hätten, weil sie Ihre Sendung durch Verhaftung Leuchters verhindert habe. Wissen Sie eigentlich, werte Frau Kollegin, was Sie damit – und mit Ihrer Bemerkung, jetzt werde Leuchter zur „zweifelhaften Heldenfigur“ – getan haben?

Endlich macht mal eine deutsche Staatsanwaltschaft Ernst im Kampf gegen einen dieser Lügner von der „Auschwitz-Lüge“, die ungeheuerlicherweise den Völkermord an den Juden im deutsch besetzten Europa während des Zweiten Weltkrieges leugnen, da fallen Sie ihm, wie oben zitiert, in die Parade! Was sollte das denn für ein „Fred A. Leuchter live“ werden?

Was wollten Sie mit diesem – Gast?

Kennen Sie das Gesetz, das die Leugnung von Auschwitz unter Strafe stellt, wenn auch erst seit 1985, also viel zu spät? Bis dahin, liebe Frau Schreinemakers, mußten sich Überlebende des Holocaust, deren Angehörige in Auschwitz oder einer der anderen Vernichtungsfabriken ermordet worden waren, schon am nächsten Kiosk von der Deutschen Nationalzeitung des Herrn Frey und anderen Gazetten des rechtsradikalen, republik- und verfassungsfeindlichen Print-Imperiums belehren lassen, daß sie einer Halluzination erlegen seien, daß sie sich geirrt hätten, als sie um ihre Angehörigen trauerten. Denn diese könnten gar nicht umgebracht worden sein, weil es – ja, weil es Auschwitz und seine Gaskammern gar nicht gegeben habe... Töne, deren Kronzeuge und Alibi Fred A. Leuchter war und ist.

Können Sie sich vorstellen, was in den Familienangehörigen der Ermordeten bei der Lektüre vor sich ging? Und wie lange sie darauf gewartet haben, daß der Staat ihnen endlich gesetzlich den seelischen Schutz vor solchen Unerträglichkeiten gegeben hat, nämlich 40 Jahre? Und vermögen Sie zu begreifen, was solche Überlebenden der Schoah (darunter auch ich) empfunden hätten, wenn Sie den Vater der „Auschwitz-Lüge“, wenn Sie Leuchter vor Ihrem Mikrofon gehabt hätten? Das sind Fragen, die Sie vorher hätten bedenken sollen.

Statt dessen waren Sie dabei, diesem unsäglichen US-Amerikaner ein Millionen-Forum zu verschaffen! Zum Glück ist das mißglückt, sonst hätte wohl mancher sein bisherigen Bild von Margarethe Schreinemakers korrigieren müssen.

Die konsternierendste Frage: Was wollten Sie eigentlich mit diesem – Gast? Wollten Sie Leuchter, wie Sie angaben, „nur“ über „professionelles Killen“ befragen – ohne Auschwitz zu erwähnen? Warum dann gerade Leuchter, den globalen und zentralen Lügner von der „Auschwitz-Lüge“, der seinen schauerlichen „Ruhm“ eben dieser Leugnung zu verdanken hat? Wo wäre da der – sagen wir einmal: ethische – Aufhänger geblieben? Wenn Sie aber diesen Konstrukteur professioneller Hinrichtungsmethoden in den USA nach Auschwitz gefragt hätten und er dazu das erklärt hätte, was er unzählige Male erklärt hat, nämlich daß dort gar keine Juden umgebracht worden seien – dann wäre Leuchter nicht nur unweigerlich unter besagtes Gesetz gefallen, sondern Sie, Frau Schreinemakers, hätten sich damit auch etwas auf Ihr Gewissen geladen, von dem ich nicht wüßte, wie Sie damit fertig geworden wären.

Deshalb, so oder so: Leuchter, ohne Befragung nach Auschwitz – fatal, taktlos, ignorant! Leuchter, mit Befragung nach Auschwitz – unsäglich, widerrechtlich, blind gegenüber den Gefühlen und Empfindungen aller, deren Leid Ihr verhinderter Interviewpartner leugnet. Nein, es war kein guter Gedanke, diesem Mann eine Plattform bieten zu wollen, unter keinem Aspekt.

Sie wären übrigens auch nie auf den Gedanken gekommen, Leuchter einzuladen, wenn Sie jemals das „Museum Auschwitz“ besucht hätten – nehme ich zu Ihren Gunsten an. Ich war vor einigen Wochen dort, in Auschwitz I, dem ehemaligen Vernichtungslager Birkenau, und Auschwitz II, dem einstigen Stammlager – nachdem ich diesen Gang jahrzehntelang verschoben hatte aus Gründen, die ich Ihnen vielleicht nicht zu erklären brauche.

Adorno hat einmal gesagt, nach Auschwitz könnten keine Gedichte mehr geschrieben werden. Das hat sich nicht bewahrheitet, und das ist gut so – es muß sich erinnert, es muß darüber gesprochen und geschrieben werden. Aber wenn, in welchem Rahmen auch immer, dann so, wie es dieser größten Menschenschlachtstätte einzig zukommt – ohne jede Sensationsabsicht, Effekthascherei und TV- Aufgeregtheit.

Für einen Fred A. Leuchter aber wäre darin nirgendwo Platz. Mit dennoch freundlichen Grüßen

Ralph Giordano