Den langen Winter zum Planen

Von drei Büchern, die im Wandern mehr als die sportliche Leistung sehen  ■ Von Reinhard Kuntzke

Am 4. Juni des letzten Jahres sind sie in Wien losgelaufen. Am 3.Oktober, nach fast exakt vier Monaten, waren sie in Nizza. Ihre Initiative nannten sie „TransALPedes“ (siehe taz vom 8.8.92). 2.000 Kilometer weit ging es kreuz und quer über die Alpen. Zu Fuß, versteht sich. Vom Tal den Berg hinauf und wieder hinunter. Tag für Tag. Insgesamt 120.000 Höhenmeter.

Aber ein Eintrag in irgendein „Buch der Rekorde“ stand den acht InitiatorInnen nicht im Sinn. Auch keine alpinistischen Höchstleistungen. TransALPedes verstand die Wanderung als politische Tat. „Wir setzen der drohenden Zerstörung des Alpenraumes ein paar Füße entgegen“, schreibt das Wanderteam im Vorwort ihres jüngst erschienenen Buches zur Tour. Ziel der Wanderung über die Berge war, möglichst viele Protest- und Alternativgruppen der grenzüberschreitenden Alpenregion zu besuchen, miteinander bekannt zu machen und an einem Aktionsnetz zu knüpfen. Denn es bewegt sich etwas in den Alpen. Der Widerstand der Bevölkerung in den Tälern wächst. Gegen den blechernen Lindwurm des Transitverkehrs, gegen die touristische Übererschließung, gegen die militärische Nutzung abgeschiedener Täler und gegen neue Stauseeprojekte zur Stromgewinnung. In vielen Alpentälern haben sich die BewohnerInnen zusammengeschlossen und suchen nach anderen, ökologisch vertretbaren Lösungen für die anstehenden Probleme. Während der Alpen-Wanderung wurden von TransALPedes über 100 Treffen, Diskussionen und Lokaltermine entlang der Strecke organisiert. Rund 800 Personen haben sich in den Alpenländern Österreich, Deutschland, Schweiz, Italien und Frankreich aktiv an dem Unternehmen beteiligt.

Das Buch „Alpenglühn“, Rotpunktverlag, Zürich 1993, DM 44, ist die Dokumentation dieser Tour. Als Lesebuch gestaltet, wird auf knapp 300 Seiten der gefährdete Lebens- und Kulturraum der Alpen dargestellt. Die konkrete Wanderung von TransALPedes bildet dabei den „roten Faden“ und verbindet die Einzelprobleme in den verschiedenen Tälern zu einem zusammenhängenden Ganzen. In diesem Jahr wird KeineR die Tour mehr nachwandern können, denn die Wandersaison ist zu Ende, und per Tourenski läßt sich die Strecke von Wien nach Nizza kaum bewältigen. Zeit genug also, während der Wintermonate die Alpenquerung für das nächste Jahr vorzubereiten. Denn „Alpenglühn“ ist kein Wanderführer im klassischen Sinn. Zwar werden im Buch die wichtigsten logistischen Eckdaten wie Streckenlänge, Höhenunterschiede und Übernachtungsmöglichkeiten genannt, aber die eigentliche Wegebeschreibung fällt zugunsten der inhaltlichen Sachinformation zur Alpenthematik arg knapp aus. Um die TransALPedes-Tour nachzuvollziehen, ist ein intensives Kartenstudium unumgänglich.

Auch das Buch von Reinhold Messner, „Rund um Südtirol“, Piper Verlag, München 1992, 68 DM, ist kein Wanderbuch der herkömmlichen Art. Die Intentionen des Extrembergsteigers ähneln denen von TransALPedes. Auch Messner will anhand einer Distanzwanderung tiefere Einblicke in die Problematik einer Alpenregion vermitteln. Dabei beschränkt er sich allerdings auf seine Heimat Südtirol. Zusammen mit dem Bergsteiger Hans Kammerlander hat Messner im Herbst 1991 die Provinz Südtirol exakt auf der Grenzlinie umrundet. Genau wie TransALPedes nutzten die beiden Bergsteiger die Tour, um mit vielen Menschen zusammenzutreffen und zu diskutieren. Über den touristischen Ausverkauf Südtirols, über die Schwierigkeiten der Bergbauern, über den Krieg in den Dolomiten, über Nationalismus und Heimatgefühl. Herausgekommen ist ein Südtirol-Buch, das das verkitschte Postkartenidyll des Landes im Gebirge kräftig gegen den Strich bürstet und viele unbequeme Fragen über die autonome Provinz in Italien stellt, die in den gängigen Reiseführern nicht vorkommen.

Auch die Südtirol-Tour läßt sich nicht ohne weiteres nachwandern, dazu ist die Strecke, die die beiden Bergsteiger gewählt haben, auf weiten Strecken zu extrem. Für Wanderer, die den 2. bergtechnischen Schwierigkeitsgrad beherrschen, bietet Hans Kammerlander in seiner Alpinschule Südtirol, Ahornach 115, I-39032 Sand in Taufers/Campo Tures, die Südtirol-Umrundung jedoch als geführte Tour an.

Im alpinistischen Sinn als „leicht“ ist der „Große Walserweg“ einzustufen. Dieser Fernwanderweg führt durch das gesamte Siedlungsgebiet der Walser in den Alpen. Der alemannische Volksstamm zog während der Völkerwanderung zunächst von der Elbe zum Main, um sich dann über ganz Südwestdeutschland, die Vogesen und die nördliche Schweiz auszudehnen. Die Walser, die in den nachfolgenden Jahrhunderten große Teile der Westalpen besiedelten, schufen die Voraussetzungen, daß sich aus dem unwirtlichen Hochgebirge die Kulturlandschaft der Alpen entwickeln konnte, wie wir sie heute kennen.

Auf Initiative der Schweizer Verkehrszentrale wurde ab 1989 ein zusammenhängender Distanzweg konzipiert, der in rund 35 Tagesetappen vom Kleinwalsertal im Allgäu durch Österreich, die Schweiz und Italien bis nach Zermatt führt. Für die Tour werden hauptsächlich noch bestehende alte Walserpfade und Saumwege genutzt. Bis auf die Überschreitung des oberen Theodulgletschers, der alpinistische Erfahrung verlangt, sei der Distanzweg „familienfreundlich“ angelegt, meint Gert Trego, der den Wanderführer „Der Große Walserweg“, Verlag der Weitwanderer, Oederstraße 23, D-26121 Oldenburg, 1993, 28,80 DM, geschrieben hat. Neben einer exakten Tourenbeschreibung enthält der Band nach dem Fontaneschen Motto „man sieht nur, was man weiß“ eine Fülle von Informationen zur Geschichte des Volkes, das die Höhen der Alpen kultivierte.