Ultimatum für Ausländer in Algerien

Die Entführer der drei befreiten Franzosen wollen das Land innerhalb eines Monats ausländerfrei machen / Das Regime bestreitet, mit der FIS Kontakt aufnehmen zu wollen  ■ Von Thomas Schmidt

Berlin (taz) – Algeriens islamische Fundamentalisten wollen ihr Land ausländerfrei schießen. „Verlaßt das Land, ihr habt einen Monat Zeit. Wer diese Frist nicht einhält, ist selbst für seinen unverzüglichen Tod verantwortlich. Entführungen wird es nicht mehr geben, sondern schlimmere Gewalt als in Ägypten.“

Diese Botschaft an die 40.000 Ausländer – unter ihnen 25.000 Franzosen und etwa 1.000 Deutsche – gaben die Kidnapper Michèle Thévenots, wie am Mittwoch in Algier bekanntwurde, ihrem Opfer auf einem handgeschriebenen Zettel mit auf den Weg in die Freiheit. In der ägyptischen Hauptstadt waren eine Woche zuvor zwei Amerikaner und ein Franzose erschossen sowie ein weiterer Amerikaner, ein Italiener und ein Syrer schwer verletzt worden. In Algerien selbst wurden in den letzten vier Wochen sieben Ausländer ermordet aufgefunden.

Michèle Thévenot, ihr Ehemann Jean-Claude sowie Alain Freyssier – alle drei Angehörige des französischen Generalkonsulats in Algier – waren am 24. Oktober im Zentrum der algerischen Hauptstadt entführt worden. Noch ist unklar, ob die Freilassung der drei Franzosen in Oued-Slama, 30 Kilometer südlich von Algier, ausschließlich militärisch erzwungen oder doch auch politisch ausgehandelt wurde. Die offiziellen Stellen beidseits des Mittelmeers schweigen sich bisher über die Einzelheiten der Geschehnisse aus.

Der algerische Ministerpräsident Rehda Malek lastete die Entführung der „Bewaffneten Islamischen Gruppe“ (GIA) an, die für die Ermordung des früheren algerischen Ministerpräsidenten Kasdi Merhabi am 21. August verantwortlich zeichnete. Doch möglicherweise wurde Merhabi – wie schon ein Jahr zuvor Präsident Mohamed Boudiaf – im Auftrag mafiöser Kreise der militärisch-industriellen Nomenklatura umgebracht. Die GIA ist neben der „Bewaffneten Islamischen Bewegung“ (MIA) die wichtigste Untergrundgruppierung, die nach dem Verbot der Islamischen Heilsfront (FIS) entstanden ist. Die FIS hatte im Dezember 1991 beim ersten Urnengang zu den ersten freien Parlamentswahlen in Algerien einen überragenden Triumph davongetragen, war dann aber über die verfassungswidrige Absetzung von Präsident Chadli und die Annullierung des zweiten Wahlgangs um ihren Wahlsieg betrogen worden.

Seither ist das Land nicht mehr zur Ruhe gekommen. Die Zahl der Opfer des Terrors aus dem islamischen Untergrund, der vor allem Polizisten, Soldaten, aber auch zunehmend Professoren, Journalisten und Anwälte trifft, die für einen laizistischen Staat eintreten, geht inzwischen in die Tausende. Die Regierung ihrerseits meldet regelmäßig die Verluste der Gegenseite. So wurden nach offiziellen Angaben allein am Dienstag und Mittwoch dieser Woche 13 bewaffnete Fundamentalisten getötet. Seit der Entführung der drei Franzosen vor zwölf Tagen sind nach Angaben der Armee 77 Aufständische erschossen worden.

Während die MIA als ein militärischer Arm der FIS angesehen werden kann, bezichtigt die GIA die FIS des Verrats an ihrer eigenen Basis. Angeführt wird die radikale Gruppierung vom 29jährigen Murad Si Ahmed (alias „Yaafar“). Sein Vorgänger Abdelhak Layada war im Juni in Marokko festgenommen und anschließend an Algerien ausgeliefert worden. In der jüngsten Zeit ist es zwischen den beiden bewaffneten Gruppierungen zu Auseinandersetzungen gekommen, bei denen auch drei Familienangehörige der obersten FIS-Führer Ali Benhadj und Abassi Madani, beide im vergangenen Jahr zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, getötet wurden.

Angesichts der Aussichtslosigkeit, das Land auf militärischem Weg zu befrieden, hat der Hohe Staatsrat, der als kollektives Präsidium fungiert, Ende Oktober ein Komitee einberufen, dem drei hohe Offiziere und fünf regierungsunabhängige Zivilpersonen angehören. Dieses soll Mitte November eine „Nationale Konferenz“ einberufen, um über einen politischen Ausweg aus der algerischen Krise zu beraten. Über zwei Dutzend Parteien, Gewerkschaften, Berufsverbände und weitere Organisationen der zivilen Gesellschaft sind bislang zu diesem Treffen eingeladen worden.

Offenbar sucht das Komitee nun auch den Kontakt zur FIS oder will mindestens deren moderaten Flügel für den politischen Dialog gewinnen. Letzte Woche meldete das Regierungsblatt Al Massa, die Organisatoren der Konferenz würden den ehemaligen Chef des provisorischen Exekutivkomitees der FIS, Abdelkader Hachani, der seit Januar 1992 in Untersuchungshaft sitzt, im Gefängnis aufsuchen. Die Nachricht wurde zwar offiziell umgehend dementiert, was sie aber nicht unglaubwürdiger macht. Auf der andern Seite spricht wenig dafür, daß die FIS sich auf einen Dialog mit dem Regime einläßt. In einer Erklärung vom Mittwoch warnte sie alle Regierungen davor, „mit den Putschisten zusammenzuarbeiten“.