Nudeln allein reichen nicht

■ Gesichter der Großstadt: Eike Warweg, ehemals Pressesprecher des Bezirksamts Neukölln, ist nun Berater der russischen Stadt Puschkin und sucht Investoren

„Lebensmittel nach Rußland zu bringen, löst keine Probleme.“ Der das sagt, hat vor drei Jahren die Lebensmittelhilfe des Bezirks Neukölln für dessen Partnerstadt Puschkin ins Leben gerufen: Damals war Eike Warweg Pressesprecher. Heute ist er der erste kommunale Berater für die GUS. Die bezirklichen Nudeltransporte entwickelten sich schnell zu einem riesigen Unternehmen: Für die zweite Hilfsaktion bat Warweg den Oberkommandierenden der Westgruppe der Russischen Streitkräfte um eine Militärmaschine: Generalmajor Burlakow sagte spontan eine „Antonow 12“ zu. 1992 nahm dann eine 180 Tonnen fassende amerikanische „Galaxy“ Kurs auf Puschkin. Es sollte Warwegs letzte Luftbrücke sein. In Puschkin wurde er krank und mußte drei Wochen im dortigen Militärkrankenhaus seine Batterie auftanken – für neue Aufgaben: In den Monaten zuvor hatte Puschkins Bürgermeister Nikiforow den Pressesprecher immer wieder gefragt, ob nicht auch andere Formen der Zusammenarbeit denkbar seien. Deutsche Berater müßten her, am liebsten sei ihm Warweg. Nach seiner Genesung fuhr Warweg deshalb nach Bonn, um wegen der Sache im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) vorzusprechen. Zwei Monate später war er auf dem Weg nach Puschkin.

Eike Warweg war schon immer gerne dabei, wenn es etwas Neues aufzubauen galt. Das war schon 1963 so, als er in den Sozialakademien einem AStA auf die Beine half. Im gleichen Jahr wurde er SPD-Mitglied. Als dritter Vorsitzender des Arbeitskreises Berliner Studenten fungierte er ein Jahr später und lernte Rudi Dutschke und Newermann kennen. Vor allem aber traf er auf den Mann, als dessen „linke Hand“ er 20 Jahre später im Neuköllner Rathaus arbeiten sollte: Den CDU-Mann Arnulf Kriedner, der 1981 Bezirksbürgermeister im Bezirk Neukölln wurde. Als Kriedner den Sozi Warweg als Pressesprecher holte, waren viele CDUler gar nicht begeistert. Krieder schätzt besonders Warwegs Kreativität: „Seit Warweg“ sind am Rand der Rathausmitteilungen die sieben Wahrzeichen des Bezirks gezeichnet.

In Puschkin läuft zur Zeit noch alles so wie Warwegs Bezahlung: Offiziell steht er auf der Gehaltsliste des dortigen Rathauses. Das BMZ zahlt die Differenz zu seinem bisherigen Einkommen. Gehalt hat Warweg aber in Puschkin erst einmal bekommen: Für acht Monate, bar auf die Hand, ein riesiges Bündel Rubelscheine. Wahre Wunder werden von dem 54jährigen erwartet. Er soll aus Milch Joghurt, aus Militärflughäfen Airports, aus Panzern Pflugscharen machen: In Puschkin gibt es einen Überschuß an Milch, aber keinen milchverarbeitenden Betrieb. Und was aus den Militärflughäfen und den Rüstungsbetrieben werden soll, weiß dort so recht auch keiner. Nun versteht ein studierter Sozialpädagoge nicht eben viel von Wirtschaftsfragen. Dafür sind andere zuständig. Gerade diese anderen aber soll Warweg suchen. Der Bundesverband Junger Unternehmer und die Industrie- und Handelskammer sind seine wichtigsten Ansprechpartner. Auch will eine Berliner Consulting GmbH ein Entwicklungskonzept für Puschkin erarbeiten. 28 Kilometer südlich von St. Petersburg liegt Puschkin günstig zur Eroberung eines riesigen Marktes. Coca-Cola und Ikea haben bereits vor Warwegs Zeiten angebissen. Neben Industrie soll der Berliner vor allem Hotels und Gaststätten nach Puschkin ziehen: Mit der ehemaligen Sommerresidenz der Zaren liegt eine „der“ Touristenattraktionen in der Stadt, die früher entsprechend Zarskoje Selo, also Zarendorf hieß. Doch obwohl jährlich drei Millionen Menschen Palast und Parkanlage besuchen, gibt es in Puschkin nur 140 Hotelbetten. Und wer abends etwas trinken oder essen möchte, ist ohnehin aufgeschmissen. Eike Warweg, der Herr „mit etwas zuviel Bauch“, scheint da der richtige Mann zu sein: Auf die Frage, was ihm in Puschkin am meisten fehlt, antwortet er: „Ein gemütliches Restaurant“. Peter Pax