Linda Reisch ist eine Videotin

■ Zeit der Demontagen: Droht die Schließung des ersten kommunalen Kinos in Frankfurt am Main?

Ein groteskes Geschenk wolle die Frankfurter Kulturpolitik dem Film zu seinem hundertsten Geburtstag machen, konstatierte die Filmwissenschaftlerin Heide Schlüpmann. In der Mainmetropole wird derzeit an einem Haushaltsdrehbuch gewerkelt, das zumindest für das Kommunale Kino (KoKi) kein Happy-End vorsieht. Die Schließung des ersten Kinos dieser Art in Deutschland steht auf der Sparliste des rot-grünen Magistrats ganz oben und wird daher einen Symbolcharakter für andere Kommunen haben. „Dadurch wird sich das filmkulturelle Klima im ganzen Bundesgebiet verschlechtern“, glaubt Enno Patalas, Leiter des Münchner Filmmuseums.

1,4 Millionen Mark waren für das KoKi im Haushalt für das kommende Jahr eingeplant und sollen nun gestrichen werden. Der Rotstift trifft das KoKi vor allen anderen „bürgerlichen“ Kulturinstitutionen in voller Härte – ein Indiz für die oft geäußerte These, die Filmkunst werde von Kulturpolitikern noch immer geringgeschätzt.

Um ihre Entscheidung zu begründen, hat sich Kulturdezernentin Linda Reisch (SPD) auf das gefährliche Terrain begeben, die kleine TV-Mattscheibe mit der großen Leinwand gleichzusetzen. Fernsehen und Video könnten anstelle der großen Leinwand die Pflege der Filmgeschichte übernehmen, sinnierte Reisch und rief damit bundesweit Empörung hervor. Wim Wenders sprach von einer kulturpolitischen Bankrotterklärung, und Volker Schlöndorff meinte ironisch: „Dann kann man ja gleich die Theater auch schließen mit Hinweis aufs Fernsehen.“ Das Kino als Ereignisort sei eines der letzten Bollwerke gegen die Beliebigkeit der Fernsehbilder, so der Dokumentarfilmer Thomas Frickel.

Reisch-Vorgänger Hilmar Hoffmann (SPD) warf der Dezernentin Dilettantismus vor – ein absolutes Novum, denn seither hatte sich der jetzige Präsident des Goethe-Instituts mit offiziellen Äußerungen stets aus der Frankfurter Kulturpolitik herausgehalten. Doch nun ist ein Essential der Hoffmannschen „Kultur für alle“- Politik betroffen – 1971 war Hilmar Hoffmann der Initiator des Kommunalen Kinos, das ins Deutsche Filmmuseum am „Museumsufer“ integriert wurde.

Seit einer Woche erhält das Filmmuseum Protestschreiben aus aller Welt, vom chinesischen Regisseur Zheng Dongtian bis zum New Yorker George-Eastman- Filmmuseum. „Man wird sich jetzt überall im Land radikal am noch übriggebliebenen nichtkommerziellen Bilderkreislauf zu schaffen machen“, vermutet der Berliner Regisseur Niklaus Schilling, „die Zeit für Demontagen aller Art war noch nie so günstig wie jetzt.“ Und im Buch mit den persönlichen Protestnoten brachte ein Kinobesucher die Sache auf die schlichte Formel: „Linda Reisch ist eine Videotin.“

Die auf breiter Basis angegriffene Kulturdezernentin übte sich derweil in hilfloser Vorwärtsverteidigung. Ein Ort für den europäischen Gegenwartsfilm soll das Kommunale Kino künftig werden, finanziert aus Drittmitteln, sprich EG-Zuschüssen. Von solchen Fördergeldern träumt auch Klaus Sturmfels, kulturpolitischer Sprecher der SPD. Doch dieses „ominöse europäische Filmfenster“, kontert Wim Wenders, „muß nicht erst eingerichtet werden. Es gibt es bereits, eben im KoKi“.

Auch in einem weiteren Punkt blamierte sich Reisch durch Unkenntnis. Ihr Vorschlag, das Modell des Wiener Stadtkinos und dessen Videothek auf Frankfurt zu übertragen, retournierten die Österreicher mit dem Hinweis, die Idee sei von Grund auf falsch. Das Wiener Stadtkino pflege die Filmgeschichte durch das Zeigen von Filmen „in einem sehr schönen Kinosaal“.

Walter Schobert, Direktor des Deutschen Filmmuseums, warnte schon vor Monaten die Sozialdemokraten vor einem „verzweifelten Gesichtsverlust“, wenn sie das einzige Kulturinstitut, das unter ihrer Ägide entstanden sei, schließen wolle. Anfang dieser Woche untersagte ihm Reisch die Ausrichtung einer Pressekonferenz. Während Walter Schobert und seine Stellvertreterin Claudia Dillmann ins Reisch-Büro zitiert wurden, erklärten die Vertreter eines neu gegründeten Fördervereins den bereits versammelten Journalisten den Ernst der Lage. Schon in zehn bis zwölf Tagen, so der Dokumentarfilmer Wolfgang Richter, könnten die Projektoren im 144 Plätze fassenden KoKi stillstehen, weil bereits im November und Dezember aus dem Haushalt des nächsten Jahres geschöpft werde. Auch wenn SPD und Grüne von „Bestandsgarantie“ reden, werden sie die Magistratsvorlage wohl nicht mehr rückgängig machen. Mitte November gehen die Fraktionen von SPD und Grünen in getrennte Klausursitzungen.

Richter wies darauf hin, daß die vom Kulturamt genannten Zahlen zum KoKi falsch seien. Es gehe um 333.000 Mark „und nicht mehr“, um den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Beispielsweise die Personalkosten würden im nächsten Jahr weiterhin anfallen, da für die Filmvorführer nicht auf Anhieb andere Stellen gefunden werden könnten. Im vergangenen Jahr besuchten rund 40.000 Menschen die Filmvorführungen. Wenn nicht ein Wunder geschieht, wie es ein Mitarbeiter des Filmmuseums ausdrückte, wird sich diese Zahl im nächsten Jahr gegen Null bewegen. Stefan Müller

Kommunales Kino im Frankfurter Filmmuseum, Schaumainkai 41, Tel. 069/21 23 88 30