Tod beim Duschen

13 Tote durch Kohlenmonoxyd-Vergiftung in Frankreich und Belgien / Nichts Ungewöhnliches  ■ Aus Gent Alois Berger

Es hätte von Hitchcock sein können. In Montrouge bei Paris wurden zwei Menschen tot in ihrem Bett gefunden. Im ostbelgischen Gent bargen Nachbarn einen Mann leblos aus seiner Dusche, er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. In Fort Mardyck am Atlantik lagen zwei Frauen erstickt in ihrer Küche. In Verviers schlief ein älteres Ehepaar vor dem Fernseher für immer ein. Innerhalb von 24 Stunden starben in Belgien und Nordfrankreich 13 Menschen an Kohlenmonoxyd- Vergiftung, mehr als 200 kamen mit schweren Vergiftungserscheinungen in die Krankenhäuser. Und nicht überall haben die Nachbarn nachgesehen.

Die Regierungen ließen über Radio zu erhöhter Vorsicht aufrufen. Die Inversionswetterlage verhindere den Rauchabzug in den Kaminen. Vor allem in älteren Kohleöfen sammle sich eine erhöhte Konzentration von Kohlenmonoxyd, das in die Wohnungen ausströme, geruchlos und gefährlich. „Drehen Sie die Heizung ab,“ empfahlen die Fachleute, „und machen Sie die Fenster auf.“

„Wir hatten allein in unserer Klinik 25 CO-Patienten“, sagt Professor Buylaert von der Notaufnahme der Uniklinik in Gent, „mit Kopfschmerzen, Brechreiz – das Übliche. Normalerweise haben haben wir höchstens drei oder vier.“ Das „normalerweise“ ergibt umgerechnet auf ganz Belgien, daß auch ohne Inversionslage übers Jahr ein paar hundert Leute versehentlich durch ihren Ofen vergiftet werden. Für die belgischen Behörden kein Grund zur Aufregung. Gesundheitsinspektor Luc Van Houtte sieht keine Lücken in der Vorbeugung: „Wir haben sofort die Bevölkerung gewarnt und damit weitere Unglücke verhindert.“

Gino Van Damme arbeitet im Genter Stadtteilzentrum Wijk. Gerade eben habe der Verband der Kohlenhändler angerufen, grinst er, „die haben sich bedankt dafür, daß ich Kohle- und Gasheizungen für gleich gefährlich halte.“ Die Behörden hatten – vielleicht aus Rücksicht auf die staatliche Gasgesellschaft – nur auf die Gefahren von Kohleheizungen hingewiesen.

Vor drei Jahren hat Van Damme eine Bürgerinitiative gegen Kohlenmonoxyd-Vergiftung gegründet, aber erst seit ein paar Tagen interessieren sich sogar die belgischen Fernsehstationen für ihn. Eingekeilt zwischen Broschüren, Plakatstapeln und kaputten Durchlauferhitzern gibt er das vierte Interview des Tages. „Die Menschen müssen begreifen, daß jede Verbrennung Sauerstoff braucht“, doziert er in die Kamera, „wer Fenster und Türen abdichtet, riskiert sein Leben.“

Hinterher ergänzt er: „Solange wir das eigentliche Problem nicht lösen können, müssen wir wenigstens verhindern, daß weiterhin jährlich drei- bis vierhundert Menschen an CO umkommen.“ Allein die Hälfte davon ersticke beim Duschen. Der Grund dafür seien billige, gasbetriebene Wasserheizer ohne Kamin, die eigenlich nur zum Händewaschen gedacht seien. „In einem gut geschlossenen Raum frißt so ein Ding, voll aufgedreht, in wenigen Minuten den ganzen Sauerstoff weg.“ Vor allem in den Städten stammen die meisten Häuser noch aus dem vorigen Jahrhundert. In den letzten Jahren haben sich viele Menschen notdürftig Duschen eingerichtet und dabei ein paar grundlegende Gefahren unbeachtet gelassen.

„Das eigentliche Problem ist, daß sich nicht einmal die Gas-Gesellschaft darum kümmert, was die Leute so anschließen.“ Van Damme kommt zu seinem Hauptthema: „Es gibt keine Kontrollen, selbst die Installateure müssen nur eine theoretische Prüfung machen und können dann ihr ganzes Leben lang pfuschen.“ Die meisten Leute sparen sich das Geld und schrauben selbst herum. Belgien gehört zu den führenden Nationen, was die Häufigkeit von schweren Gasexplosionen anbelangt.

Natürlich ist es auch ein soziales Problem. Wilfried Huba, der als Hausarzt jeden Tag in viele Wohnungen kommt, erzählt, daß vor allem in den ärmeren Stadtteilen von Gent 80 Prozent aller Heizungen nicht den Sicherheitsvorschriften entsprechen, die es theoretisch auch in Belgien gibt. Da werde mehr gebastelt als gebaut.

Die belgischen Krankenkassen wollen nun ihre Familienhelfer von Van Damme unterrichten lassen, damit die bei ihren Hausbesuchen ein Auge auf die Gefahrstellen richten und auf Abhilfe drängen können. Die staatlichen Stellen dagegen haben ihre ohnehin geringe finanzielle Unterstützung vorerst bis Ende des Jahres befristet. Ihnen ist das winzige Projekt, das für den gesamten flämischen Teil Belgiens ganze zwei hauptamtliche Leute beschäftigt, etwas lästig. Vor allem, weil Van Damme dauernd auf den fehlenden Kontrollen herumreitet.

Dabei weiß auch Van Damme, daß Aufklärung der einzig mögliche Weg ist und seine Forderung nach mehr Kontrolle keine Chance hat. „Die Wohnung ist hier heilig“, räumt er schulterzuckend ein, „vielen ist schon die Vorstellung unheimlich, daß eine staatliche Behörde regelmäßig zum Kontrollieren vorbeikommt.“ Einen Moment lang vergißt Dr. Huba die dreihundert Toten und findet diese Einstellung ziemlich sympathisch.