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Viertagewoche versuchsweise

Der französische Senat stimmte für die 32-Stunden-Woche / Staatliche Beihilfen, aber nur wenn neue Arbeitsplätze geschaffen werden / Sozialisten sind dagegen  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Als hätten sie einen Rettungsanker gegen die unaufhaltsam steigende Arbeitslosigkeit entdeckt, so stürzen sich die französischen Politiker plötzlich auf die Idee der 32-Stunden-Woche. Frankreich dürfte bald 12 Prozent Arbeitslose zählen; 3,3 Millionen Menschen suchen eine Stelle.

Nachdem sich alle altbekannten Therapien gegen die Arbeitslosigkeit als fruchtlos erwiesen haben, wünschen jetzt selbst Regierungschef Edouard Balladur und sein Arbeitsminister Michel Giraud, daß die Viertagewoche versuchsweise eingeführt wird. Seit auch die Medien diese Kampagne aufmerksam und wohlwollend begleiten, wollen viele Regierungspolitiker jetzt nichts mehr davon wissen, daß das Thema für sie im März- Wahlkampf noch tabu war.

Nach heftiger Debatte zog nun der französische Senat mit. Zwei konservative Senatoren hatten in der zweiten Parlamentskammer die Initiative eingebracht, die 32-Stunden-Woche doch noch durchzubringen. Jean-Pierre Fourcade (von der liberalkonservativen UDF) und Gerard Larcher (von der gaullistischen RPR) schlagen vor, daß Unternehmen eine Verkürzung der gesetzlichen Wochenarbeitszeit von derzeit 39 auf 32 Stunden erlaubt wird.

Anders als es derzeit bei Volkswagen diskutiert wird, sollen durch diese Maßnahme nicht nur Entlassungen vermieden, sondern auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Falls die Unternehmen innerhalb von drei Monaten mindestens zehn Prozent zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, soll ihnen der Staat Finanzhilfen gewähren, die im ersten Jahr 40 Prozent und in den beiden Folgejahren 30 Prozent der Sozialabgaben ausmachen. Die Arbeitnehmer sollen eine Kürzung ihrer Gehälter in Kauf nehmen.

Das Thema hatte eigentlich als erledigt gegolten, seit feststeht, daß die Einführung der 39-Stunden-Woche im Jahr 1982 keine Arbeitsplätze geschaffen hatte. In den letzten Monaten hatten immer mehr linke wie rechte Politiker eine verkürzte Wochenarbeitszeit gefordert. Einflußreiche Unternehmenschefs wie der Vorsitzende der Versicherungsgruppe AXA, Claude Bebear, oder der Präsident der großen Lebensmittelgruppe BSN, Antoine Riboud, stimmen in den Chor mit ein.

Die Arbeitszeitverkürzung mit staatlichen Hilfen sei allerdings nur „eine von 30 oder 40 Maßnahmen, die wir ergreifen müssen“, meinte Senator Fourcade vorsichtig. „Es wäre kriminell, wenn wir den Glauben entstehen ließen, daß die Arbeitszeitverkürzung allein schon Stellen schaffen könnte.“ Äußerst wichtig seien auch verstärkte Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen sowie Anreize zu Unternehmensneugründungen. Areitsminister Giraud warnte, es wäre „stupide“ und ein „Desaster“, wenn ein solches Gesetz zwingend für alle Unternehmen erlassen würde.

Sozialistische und kommunistische Senatoren stimmten gegen den Vorschlag. Sie kritisieren, daß er keine staatlichen Kompensationen für niedrige Lohngruppen (unter 3.000 Mark) vorsieht. Deshalb werfen sie der Rechten vor, sie wolle letztlich nur die Gehälter drücken. So würde nicht die Arbeit umverteilt, sondern die Arbeitslosigkeit.

Die Sozialistische Partei selbst ist in der Frage der 32-Stunden- Woche gespalten: Während Parteichef Michel Rocard sich ebenfalls für die Viertagewoche bei gleichzeitigem Lohnverzicht stark macht, wünscht ein Teil der PS die 35-Stunden-Woche ohne Lohnverzicht. Die PS deshalb will zu diesem Thema im Februar eine große Debatte organisieren.

Starken Widerstand gegen das Gesetz gibt es jedoch auch bei den Regierungsparteien. So veröffentlichten 40 Abgeordnete der Regierungskoalition einen Aufruf gegen die 32-Stunden-Woche, weil sie „die Arbeitslosigkeit nicht lösen, sondern eher noch zu verschärfen scheint.“ Somit steht ein Glaubensbekenntnis gegen das andere. Wirkliche Analysen über die Folgen einer solchen Maßnahme liegen offenbar nicht vor. Die französischen Nationalversammlung muß nun das Gesetz erst noch absegnen. Trotz der Riesenmehrheit der konservativen Parteien: Eine klare Mehrheit für die 32-Stunden- Woche ist nicht auszumachen.

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