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■ Die Jüdische Gemeinde Berlins und die Neue WacheAusscheren aus der Eintracht

Ein Eklat, seltsam kleingekocht: Während Ignatz Bubis, höchster Repräsentant der Juden in Deutschland, Bundeskanzler Kohl bei der Einweihung des nationalen Eintrachtsmahnmals für alle „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ in der Berliner Neuen Wache begleiten wird, hat sich die lokale Jüdische Gemeinde distanziert. Eine Repräsentanten-Versammlung, die normalerweise fast unversöhnlich in konservative Mehrheitsliste und linksliberale Opposition gespalten ist, die sich gemeinhin nicht einmal über die Höhe der Parkgebühren einig zu werden vermag, hat sich einstimmig dem großen Einvernehmen verweigert. Der Berliner Gemeindevorsitzende Jerzy Kanal wird nicht mitgehen: „Für unser Empfinden ist es undenkbar, den Opfern, die durch den NS-Unrechtsstaat und seine grausame Todesmaschinerie geopfert wurden – nur weil sie Juden waren –, in einem Atemzug mit Opfern der Weltkriege zu gedenken, von denen ein Teil diese Maschine bediente.“ Daß die typisch sozialdemokratische Lösung, einen Ausschnitt aus Weizsäckers konsensstiftender Rede zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus als Kompensation anzubieten, der Berliner Gemeinde nur als eine noch größere Peinlichkeit erscheint, beruhigt irgendwie: an dieser Stelle keine Kompromisse. Daß Bubis die Berliner Gemeinde diesmal rechts statt, wie sonst üblich, links überholt hat, ist wohl der Tatsache zu verdanken, daß Kohl ihm die Errichtung eines Mahnmals für die Vernichtung der europäischen Juden in den Ministergärten nahe des Brandenburger Tors zugesagt hat. Störst du meine Parade nicht, laß ich dir deine.

Da scheinen zwei Perspektiven auf; die eine kennt man vom ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates, Werner Nachmann, die andere ist neu und läßt auf eine spannende Zukunft hoffen. Nachmann und mit ihm ein Großteil der Nachkriegsgemeinde verfolgte die Strategie des low profile – bloß nicht auffallen, bloß den „Konsens der Demokraten“ nicht gefährden, nicht einmal nach Bitburg, und bloß keinen Dissens nach außen dringen lassen. Aus der in den DP- Camps entwickelten Vorstellung, eine jüdische Gemeinde in Deutschland könne ohnehin nicht viel mehr werden als eine Liquidationsgemeinde, die unter möglichst günstigen Bedingungen für einen geregelten Abzug sorgt, war später die Idee von der Gemeinde als „lebendem Mahnmal“ geworden, die vor allem von Heinz Galinski verkörpert wurde. Bubis hatte mit dieser Tradition gebrochen, hatte wie andere politische Repräsentanten auch seinen Senf zum Geschehen gegeben und ließ sich nicht an die Kandare nehmen. Zu und zu schön wäre es, wenn die lokalen Gemeinden diesen Schritt ins Freie jetzt nachvollziehen würden, aus der Reihe tanzen, an einem Strang ziehen, je nach den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen in den eigenen Häusern. Vielleicht wären die dann auch belebter, als sie es jetzt sind. Mariam Niroumand

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