Renaissance eines sozial geächteten Rohstoffs: Sogenannter THC-freier Hanf, garantiert rauschfrei, soll die ökologisch verträgliche Landwirtschaft beflügeln. Aus diesem Hanf ließen sich Pillen, Pullis und Papier herstellen. Doch noch ist es verboten, selbst harmlose Cannabissorten anzupflanzen. Von Plutonia Plarre

Hanf Dampf auf allen Äckern

Im Schrittempo holpert der Mercedes über den Feldweg. Am Steuer sitzt Jochen Ernst, Bauer der dritten Generation in Berlin- Gatow, wo früher gleich die Mauer kam. Der Wagen fährt auf einen gewaltigen Hügel zu, der sich wie ein gestrandeter Wal aus dem ebenmäßigen Acker erhebt. „Pferdemist von einem halben Jahr aus einem Reitstall“, erklärt der Bauer trocken. „Den müssen wir jetzt in den Acker einarbeiten.“ Ökologisch verträgliche Landwirtschaft – das ist für Ernst keine Floskel. Und darum haben er und eine befreundete brandenburgische Agrargenossenschaft für das kommende Jahr auch kühne Pläne. Auf einer Fläche von 110 Hektar wollen sie erstmals wieder Hanf zur Fasergewinnung anbauen – eine Form des Cannabis, die sich nicht zur Rauschmittelproduktion eignet. Doch das ist leichter gesagt als getan: Seit der Neufassung des Betäubungsmittelgesetzes von 1981 ist in der Bundesrepublik jeglicher Anbau „von Pflanzen und Pflanzenteilen der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen“ verboten. Ausnahmen erteilt das Bundesgesundheitsamt nur „zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken“. Und das ist höchstens für ein mit Stacheldraht umzäuntes Hanfhälmchen im Botanischen Garten der Fall.

Vor kurzem hatten Bauer Ernst und seine 30 Freunde der aus einer früheren LPG hervorgegangenen Agrargenossenschaft von Hanf noch keine blasse Ahnung. Aber sie suchten schon seit geraumer Zeit nach einer Alternative. Einer Alternative, um von den Massenprodukten Getreide, Kartoffeln und Zuckerrüben wegzukommen. Eine Alternative, die auch dann noch ein gutes Einkommen verheißt, wenn es die EG-Förderung nicht mehr geben sollte. Kurzum: Gefordert war eine echte Brot- und-Butter-Pflanze, die in die heimische Flora und Fauna paßt, ökologisch verträglich und ökonomisch einträglich ist, lokal verabeitet werden kann und keine Transportprobleme bereitet.

Durch einen Zufall stießen sie auf ein gerade erschienenes dickes Buch mit den Titel „Hanf“*. Es ist die unglaubliche Geschichte des Cannabis, einer der ältesten Kulturpflanzen der Welt, ergänzt durch eine aktuelle Studie des Katalyse-Instituts für angewandte Umweltforschung. Das Fazit: „Hanf gehört zu den ertragreichsten und landwirtschaftlich vorteilhaftesten Nutzpflanzen in unserer geographischen Zone und könnte schon wieder bald seinen Platz neben Flachs/Lein, Raps und Sonnenblume einnehmen.“ Hanf sei ein hochwertiger Lieferant von Rohstoffen für die Textil-, Papier-, Pflanzenöl- und Pharmaindustrie. Die Fasern (die frühen Jeans waren aus Hanf) könnten außer im Textil- vor allem im technischen Bereich zum Einsatz kommen. Sie eigneten sich für alle Sorten von Papier, selbst für Spitzenqualitäten. Und das unter geringeren Umweltbelastungen, als dies bei der Papierherstellung aus Holz der Fall sei. Die als Papier verwertbare jährliche Pflanzenmasse pro Hektar liege bei Hanf deutlich höher als bei Bäumen.

Kaum war das Buch auf dem Markt, standen Ernst und seine Freude aus Brandenburg beim Herausgeber Mathias Bröckers vor der Tür. Schnell war klar, daß man in der kommenden Vegetationsperiode 110 Hektar anbauen will. Auch bei der Opiumstelle des Bundesgesundheitsamts ist das Vorhaben inzwischen angezeigt: Die Hanfproduktion, so heißt es in dem Schreiben, sei für die betreffenden Bauern wirtschaftlich unverzichtbar. Man sei aber bereit, den Anbau mit der Behörde „als Pilotprojekt zu betreiben, um sicherzustellen, daß eine Rauschmittelgewinnung vollständig ausgeschlossen ist“. Kopfzerbrechen bereitet jetzt eigentlich nur noch ein Problem: die Weiterverarbeitung der Faser zu Zellstoff und als zweiter Schritt zu Papier. Denn die Technologie für Hanf ist einfach stehengeblieben, als die Kunstfaser ihren Einzug hielt. In der DDR, wo die Faserpflanze noch bis Ende der 60er Jahre angebaut wurde, arbeitete man teilweise noch mit Pferdebindern, erinnert sich der Kenner der dortigen Landwirtschaft, Professor Reinhart Metz. Er warnt vor „übertriebener Euphorie“. – Bei dem größten deutschen Papiergroßhandel, „Schneidersöhne“, der im Jahr 450.000 Tonnen Papier unter die Menschen bringt, werden jedoch schon Nägel mit Köpfen gemacht. Treibende Kraft ist der stellvertretende Leiter der Niederlassung Kelkheim, Jürgen Schlegelmilch, der bereits dafür sorgte, daß das „Hanf“-Buch auf Hanfpapier gedruckt werden konnte. „Wir werden in jedem Fall einen Markt erschließen“, ist Schlegelmilch sicher. Papier aus Hanfzellstoff sei zwar teurer als aus Holzzellstoff, aber das liege auch an den völlig veralteten Maschinen. „Hier muß noch viel Pionierarbeit geleistet werden.“

Schlegelmilch ist von der Idee so besessen, daß er sich selbst auf die Suche nach einem Werk machte, das Hanffasern zu Zellstoff verarbeiten kann. Durch einen Wink der Treuhandanstalt wurde er fündig: In Ortrand bei Cottbus habe „so ein Querulant“ seine enteignete Baumwollbleicherei zurückbekommen. Der Alteigentümer heißt Karl-Heinz Hofmann. Er hatte der DDR in den 50er Jahren den Rücken gekehrt und fortan das Patentamt in West-Berlin geleitet. Jetzt verbringt der agile Pensionär seinen Lebensabend damit, die nach der Wende stillgelegte Fabrik auf eine umweltfreundliche Produktionsweise umzustellen, um dort aus nachwachsenden Rohstoffen wie Flachs, Öllein und Hanf Zellstoff herzustellen. Bei einer Jahreskapazität von bis zu 6.000 Tonnen wären die etwas über 100 Tonnen aus Brandenburg für ihn ein Klacks: „Ich würde den Hanf sofort übernehmen.“ Aber er vermag nicht so recht daran zu glauben: „Unsere Politiker können doch nicht fortschrittlich denken.“

Vermutlich hat der alte Herr recht. Die Opiumstelle des BGA deutete auf Nachfrage der taz bereits an, ein großflächiger Anbau aus wirtschaftlichen Gründen werde grundsätzlich nicht zugelassen. Und „illegal anbauen“ kommt für Ernst und seine Freunde nicht in Frage. Aber klein beigeben wollen sie auch nicht. Im Zweifelsfall wollen sie vorm Verwaltungsgericht klagen.