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SanssouciNachschlag

■ Endstation Wirklichkeit

Der Eingang zum Zuschauerraum bleibt geschlossen. Heute werde kein Theater gemacht, erklärt uns der Autor. Verflucht sei die Kunst, die die Lüge liebt. Verflucht sei das Publikum, das große Gefühle nur aus dem Theater kennt und für das Leid der Welt nur ein Achselzucken übrig hat. Im Foyer des Theaters am Halleschen Ufer kämpft ein Autor einsam gegen den Siegeszug der Phantasie. Zunächst scheint alles nur ein Prolog zu sein. Doch der Autor meint es ernst. Auf dem Prüfstand steht das Theater, das den Zweck und die Moral seiner Mittel erkundet. Ein empörter Zuschauer mischt sich ein und verlangt sein Recht auf einen schönen Schein. Doch der Autor gönnt ihm das Labsal der Täuschung nicht. Der Kampf zwischen Autor und Zuschauer ist ein nicht zu schlichtender Streit um den Sinn der Kunst.

„Komödie ohne Titel“ ist Federico Garcia Lorcas letztes Stück, geschrieben 1935/36, wenige Monate vor seiner Ermordung in Granada. Es ist ein subtiles Spiel mit der vierten Wand des Theaters, jener Wand, die die Bühne nicht nur von der Wirklichkeit trennt, sondern auch die Verschmelzung beider suggeriert. Die Inszenierung des dreiköpfigen Regieteams (Steffen Kaiser, Christine Gregor, Virginia Arndt) macht daraus ein Pamphlet, ein Plädoyer, eine Anklage. Gericht gehalten wird über die Kunst, die nichts als Kunst sein will. Wirklichkeit lautet die Losung, mit der die Inszenierung gegen die schöne Kunst zu Felde zieht.

Die ästhetischen Mittel sind entsprechend karg: Einheitslicht, kaum Requisiten, kein Bühnenbild. Der Spielort ist gut gewählt. Denn das Foyer ist gerade jener undefinierbare Raum, von dem unklar ist, ob er schon zum Theater oder noch zur Welt gehört. Daß die blauen Overalls, die die Schauspieler tragen, im Theater jedoch immer Verkleidung und niemals Arbeitskluft sind, reflektiert die Inszenierung nicht. Und auch die Revolution, die gegen Ende leibhaftig ins Theater einbricht, bleibt auf der Bühne immer nur ästhetisches Ereignis. Revolutioniert sind weder die Kunst noch die Welt.

Lorcas Stück zielt in eine andere Richtung. Hier werden Kunst und Wirklichkeit in eine dialektische Spannung gebracht. Daß das Theater wie das Leben sein soll, wird bei ihm erst durch den Umkehrschluß wahr, daß auch das Leben immer nur Theater ist. Während die Inszenierung die Gegensätze zementiert, ging es Lorca gerade um die Verwischung ihrer Grenze. Weder auf der Bühne noch in der Welt finden wir uns wieder. Was Lorca in der Schwebe hält, holt das Ensemble mit revolutionärem Pathos auf eindeutigen Boden zurück: wenig spielerischer Ausdruck – statt dessen ernste Reden. Die reine Lust am Theater ist den Schauspielern, die sich nur für diese Produktion zusammengefunden haben, moralisch verdächtig.

Doch Kunst ist mehr als Pädagogik, und Wirklichkeit noch kein ästhetisches Konzept. Das wird am Schluß dann doch, wenn auch unfreiwillig, deutlich: Die Schauspielerin macht einer „wirklichen“ Mutter, die um ihre Kinder weint, überzeugend vor, wie das Weinen wirklicher klingt – wie in der Geschichte vom Hasen und dem Igel zeigt sich einmal mehr die List des Theaters, unausrottbar einfach dazusein, zumal auf seinem ureigenen Terrain, der Bühne. Andrea Kern

„Komödie ohne Titel“ von Federico Garcia Lorca, Theater am Halleschen Ufer. Weitere Vorstellungen: 11.–13., 17.–20., 26. und 27. November um 22.30 Uhr, Hallesches Ufer 32, Kreuzberg.

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