Oskar auf der Wolke

Nur die Kohlesubventionen machen es möglich: Ein neues Kraftwerk darf Strom für Süddeutschland und Dreck für die Saar produzieren  ■ Aus Saarbrücken Frank Thewes

Die saarländische SPD bediente sich einst einer klaren Sprache: „Großkraftwerke auf der grünen Wiese“, hieß es im Wahlprogramm 1990, „sind energetisch gesehen Wolkenmaschinen, von denen wir keine zusätzlichen mehr brauchen.“ Drei Jahre später ist daraus eine „bislang einzigartige Synthese von modernster Kraftwerks- und Umwelttechnologie“ geworden. Das Lob der SPD-Landtagsfraktion gilt einem Großkraftwerk, das der staatseigene Energiekonzern „Saarberg“ in Bexbach (Saar- Pfalz-Kreis) bauen will. Das zwei Milliarden Mark teure Projekt soll mit saarländischer Steinkohle 800 Megawatt Strom produzieren und damit nach Angaben seiner Befürworter vor allem dem krisengeschüttelten Bergbau helfen.

Mit ihrer fast bedingungslosen Unterstützung für das Großkraftwerk setzt die SPD-Landesregierung von Ministerpräsident Oskar Lafontaine den letzten Rest umweltpolitischer Glaubwürdigkeit aufs Spiel: Die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer hält das Projekt für eine „ökologische Kapitulation“, das Darmstädter Öko- Institut sieht die bisherige Energiepolitik Lafontains „radikal in Frage gestellt“, der BUND attestiert „umweltpolitische Schizophrenie“, Pfälzer SPD-Bürgermeister drohen mit Klage, und der FDP-Landesvorsitzende Harald Cronauer spricht „von einer Beerdigung erster Klasse für Umweltschutz und Wirtschaftspolitik“.

Das Großkraftwerk wird die saarländische Luft nach Berechnungen der Europa-Grünen Breyer und ihres Mainzer Landtagskollegen Dietmar Rieth durch drei Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr zusätzlich verpestet. Das entspricht der jährlichen Verkehrsbelastung im Saarland.

Die Saarbergwerke wittern indes das große Geschäft: Der Kohlestrom des neuen Kraftwerkes soll per Leitung an die Bayernwerke, das Badenwerk und die Energieversorgung Schwaben geliefert werden. Das Saarland selbst braucht keinen zusätzlichen Strom mehr, denn schon jetzt erzeugt das kleine Bundesland dreimal mehr Energie, als es selbst benötigt. Der langjährige BUND-Landesvorsitzende Karl Heinz Winkler faßt die Pläne deshalb so zusammen: „Strom für Süddeutschland – Dreck für die Saar und die Westpfalz“. Mit harter Faktenrecherche hat Winklers Bexbacher Bürgerinitiative die Kraftwerksplaner in Argumentationsnöte gebracht. Selbst die wichtigste Trumpfkarte der Befürworter – Arbeitsplätze für die Saar – sticht nicht mehr: der angepeilte Einsatz von einer Million Tonnen saarländischer Steinkohle im Jahr läßt sich nämlich nur garantieren, wenn dafür massive Subventionen gezahlt werden. Damit kann der Bergbau nicht mehr lange rechnen. In einem umfassenden Gutachten konnte auch das Öko-Institut Darmstadt „keine nachhaltigen regionalwirtschaftlich oder arbeitsmarktpolitisch positiven Impulse“ erkennen.

Vernichtend fällt das Urteil saarländischer Umweltverbände über die ökologischen Folgen des Projekts aus:

— Das Kraftwerk wird pro Jahr neben CO2 große Mengen anderer Schadstoffe in die Luft blasen. Nach verschiedenen Schätzungen sind dies: 4.500 Tonnen Schwefeldioxid, 2.230 Tonnen Stickoxide, 1.115 Tonnen Chlorwasserstoff und 560 Tonnen „lungengängiger“ Feinstaub. Der Naturschutzbund Saar rechnet mit einer dramatischen Zunahme des Waldsterbens: Die jährliche Belastung der saarländischen Wälder durch Schwefeldioxid würde von jetzt 82 auf fast 100 Kilogramm pro Hektar steigen.

– Das Großkraftwerk hat einen Wirkungsgrad von etwa 40 Prozent. Mehr als die Hälfte der eingesetzten Energie verpufft sinnlos in die Umwelt. Moderne kleinere Blockheizkraftwerke kommen dagegen auf eine Energieausnutzung von fast 90 Prozent. Für das vom Umweltministerium geforderte Fernwärmekonzept fehlen konkrete Ansätze.

– Der Strom muß über weite Strekken zu seinen Verbrauchern transportiert werden, die Leitungsverluste sind enorm. Die finanziellen Einbußen liegen nach Schätzungen pro Jahr bei mindestens 60 Millionen Mark.

– Der Wasserbedarf der Anlage ist größer als die vorhandenen Kapazitäten. Dadurch droht ein Absinken des Grundwasserspiegels.

– Die Entsorgung von Asche und Gips aus dem Kraftwerk ist ungewiß. Saarberg verspricht zwar den Verkauf der Stoffe an die Bauindustrie, plant aber schon mal eine riesige Halde für die Rückstände.

– Die Verbrennung von Müll in Steinkohlekraftwerken ist grundsätzlich möglich und erlaubt. Damit, so befürchten Umweltschützer, ließe sich hinter dem Rücken der Öffentlichkeit eine Müllverbrennungsanlage betreiben.

Das eigentliche Genehmigungsverfahren für das Kraftwerk hat im saarländischen Wirtschaftsministerium gerade erst begonnen. Umweltminister Jo Leinen hat in einem Raumordnungsbeschluß bereits sein „Okay“ für das Projekt gegeben. Schließlich sichere der Kraftwerksneubau 1.700 Arbeitsplätze im Saarland. Mit solchen Zahlen läßt sich in der Krisenregion schell punkten. Daß die ökologische Fassade gewahrt wird, dafür sorgt Oskar Lafontaine dann persönlich: In einem Spiegel-Interview sagte der Ministerpräsident, der Bau neuer Großkraftwerke ohne Wärmenutzung sei „eine krasse Fehlentscheidung“.