Das Ende der Hl. Schrift

■ Alle drucken alles: Anna Berkenbusch, Gastprofessorin an der HfK, über die Unmassen neuer Schriften aus dem Computer

Jeden Tag kommen

neue Schriften für den Computer auf den Markt, hundert kosten so viel wie früher eine, und wer einen PC hat, spielt in der Regel hemmungslos mit dem neuen Reichtum herum. Das macht die Schriftgelehrten grübeln: Anna Berkenbusch zum Beispiel, Typografin aus Berlin. In Bremen weilt sie gerade als Gastprofessorin an der Kunsthochschule. Die taz sprach mit ihr über die Folgen des Schriftenbooms.

Selbst Sie machen noch neue Schriften. Wozu?

Anna Berkenbusch: Das fragen mich die Studenten auch manchmal. Aber Vergnügen macht es ihnen doch. Wir arbeiten da an sogenannten Fuse-Schriften; das ist ein Projekt von Font- Shop, einer Art Schriftenladenkette mit Sitz in Berlin. Die verkaufen als Fuse- Paket jeweils vier Schriften, an denen erstmal gar nichts heilig ist. Die Benutzer dürfen damit spielen, hier und dort ihre Häkchen dranmachen oder sonst was. Den Studenten tut dieser Zugang gut, dieses Unheiligmachen der Schrift, die ja sonst nur so unendlich mühsam zu produzieren geht. Das ist jetzt natürlich auch möglich geworden durch die neuen Technologien: Ich nehme mir einen Buchstaben und mache damit, was ich will; ich ziehe oder verzerre oder zertrümmere ihn und setze ihn dann neu zusammen.

Diese Unheiligsprechung der Schrift geschieht ja längst massenhaft: Immer mehr Menschen machen mit immer mehr Schriften, was sie wollen.

Ja, deshalb ist bei meinen Studenten auch langsam ein bißchen die Luft raus. Das machen ja eh schon alle, sagen sie.

Ist das ein Grund zum Klagen?

Das kommt drauf an. Eine der Folgen, denke ich, wird sein, daß bald niemand mehr die Mühe und das Geld aufwenden wird, überhaupt noch vernünftige Schriften zu entwickeln.

Warum?

Es bezahlt einem niemand mehr den Aufwand, wenn es alle irgendwie selber können. Andere Leute nehmen sich zum Beispiel einfach irgendeinen Schriftklassiker, machen ein bißchen dran rum, und schon haben auch sie ein neues Produkt. Seit alles verfügbar ist, kann man ja schon kaum mehr die Grenze ziehen zwischen dem Eigenen und dem, was einer geklaut hat. Da ist es schwierig, überhaupt noch Lizenzen einzutreiben.

Das klingt nach Niedergang.

Gar nicht unbedingt. Die Frage ist nur, wofür man's macht. Ich finde es ja gut, wenn die Leute sich ihre eigenen Schriften machen. Selbst wenn sie dann nur abends eine halbe Stunde herumbasteln, kommt vielleicht eine Schrift heraus, die man für persönliche Zwecke ganz gut brauchen kann. Wenn man sie dann aber verkauft, ist das schon fragwürdig.

Die meisten billigen Schriften sehen aber so aus, als hätte da nur jemand ein schwaches halbes Stündchen gehabt.

Ja, aber ich glaube, da wird sich schon bald die Spreu vom Weizen trennen. Die Vielfalt an sich aber wird natürlich noch zunehmen. Es drückt sich ja auch in der Schrift unsere Zeit aus; und da kommen halt oft Schriften heraus, die einen kaum zwei Minuten lang interessieren können. Manche haben einen gewissen Unterhaltungswert, und man kann sie verwenden, um mal ein Plakat damit zu machen, aber eine ernstzunehmende Textschrift wäre etwas ganz anderes.

Haben wir nicht auch schon längst genug Textschriften? Selbst die Werbeleute kommen sehr weitgehend mit den paar Klassikern aus.

Ja. Times, Futura, Helvetica, Franklin. Solide Schriften, aber großteils inzwischen ein bißchen langweilig; die sind jahrzehntelang durchgenudelt worden und inzwischen einfach nicht mehr zeitgemäß. Man kann halt mit ihnen nichts falsch machen. Ich denke aber, wir sollten nicht darauf verzichten, unsere Zeit und unser Alltagsbewußtsein auch in neuen Schriften auszudrücken. Wir brauchen zum Beispiel welche, die sich auf dem Computerbildschirm gut lesen lassen. Oder überhaupt eine neue Schrift für die ganze Bürokommunikation, eine, die auf neue, verbesserte Weise die Funktion der Schreibmaschinenschrift erfüllt, wie sie früher allgemein üblich war. Als die dann verschwand, weil sich die PCs mit ihren Schriften durchsetzten, sahen plötzlich die Briefe aus wie gedruckt, und die Leute warfen sie übrigens einfach weg, weil sie dachten, das sei eh nur Werbung.

Die IG Medien hat hier neulich Einladungsbriefe verschickt, die irgendein Rasender aus 15 verschiedenen Schriften zusammengehauen hat.

Also unter den Gestaltern gibt es da durchaus schon wieder eine Umkehr, eine Bewegung, die sich von diesem Herumtanzen, von diesem aufgeregten Getue absetzt. Da werden die unverbrauchten Klassiker wieder aktuell, die Univers oder die Bodoni etwa. Ich denke aber, das alles kann durchaus nebeneinander existieren. Es gibt ja neben diesem schrecklichen Gestauche und Gezerre von Buchstaben durchaus auch seriöse Ansätze, mit der Schrift zu spielen. Ich denke da an die neue Beowolf (vgl. die Abb.) Das ist eine Schrift, in die ein Zufallsfaktor eingebaut ist, so daß kein Buchstabe dem anderen genau gleicht, und trotzdem liest sie sich sehr gut. Das ist schon fast genial. Diese Schrift hat aber schon auch klassische Vorbilder, und die Produzenten haben ihr Handwerk gelernt. Da ist so ein dadaistische Spielchen schon in Ordnung.

Dieses leicht Verwackelte, wenn nicht Unreine schaut ja auch ein bißchen handgemachter aus. Ist das jetzt die Umkehr zur Handschrift, indem man sie maschinell simuliert?

Es ist ja schon möglich, die Handschrift beliebiger Menschen zu digitalisieren, so daß der Computer dann über sie verfügt. Ich halte das allerdings für Quatsch, denn damit es nicht doch wieder gleichförmig aussieht, müßte man dem Computer ja auch noch Gefühlsschwankungen und andere Bedingungen des Ausdrucks beibringen. Die Schriftfamilie wäre dann nicht mehr in fette, halbfette und normale Varianten unterteilt, sondern in Annamüde, Annazornig oder Annaverliebt. Eine lustige Idee, aber irgendwie krank.

Sie würden die Handschrift nicht antasten wollen?

Es ist schade, daß kaum noch mit der Hand geschrieben wird.

Nur schade oder schädlich?

Schwierige Frage. Ich denke schon, daß es schädlich ist. Es geht jedenfalls die Fähigkeit verloren, mit der Hand und ohne Maschine überleben zu können. Wenn ich bei mir im Atelier die Stöpsel rausziehe, dann sind die

Grafikdesigner aufgeschmissen. Ich kann noch mit Stift und Block, aber die Generation, die jetzt mit dem Computer aufwächst, hält das in der Regel schon gar nicht mehr für nötig. Ich dagegen finde, man sollte zur Not auch noch wissen, wie man ein Feuer macht oder einen Knopf annäht. Fragen: Manfred Dworschak

Abb: Die neue „Beowolf“