Kinder des Dritten Reiches

■ Eine Dokumentation, die auf BBC lief und hierzulande nicht gezeigt werden darf

Dublin (taz) – Ich habe gemerkt, daß wir zwei Seiten derselben Münze sind“, sagt die etwa 35jährige jüdische Frau am letzten Tag einer ungewöhnlichen Begegnung: Im April dieses Jahres trafen zehn Kinder von Holocaust-Überlebenden im israelischen Friedenszentrum Neve Schalom mit acht Kindern hochrangiger Nazifunktionäre zusammen. Die BBC strahlte die ruhige, völlig ohne Effekte auskommende Dokumentation des viertägigen Treffens am Mittwoch unter dem Titel „Kinder des Dritten Reiches“ aus. In Deutschland kann der Film nicht gezeigt werden, weil die 80jährige Mutter von Renate, einer der Teilnehmerinnen, es untersagt hat. Renates Vater war SS-Chef in Nordrußland.

Der Israeli Dan Bar-On, auf dessen Initiative die Begegnung stattfindet, hat kein Programm festgelegt. „Das müssen sie selbst machen“, sagt er. Ihm geht es bei dem Treffen um die Beantwortung von drei Fragen: Können sich die beiden Gruppen gegenseitig ins Gesicht sehen? Können sie einander helfen, die Vergangenheit zu bewältigen? Und gibt es Gemeinsamkeiten, die über den persönlichen Kampf jedes einzelnen hinausgehen?

Die erste Begegnung ist von Mißtrauen geprägt, der Tagungsraum „ist vom Tod erfüllt“, wie es eine jüdische Teilnehmerin ausdrückt. Doch schon am zweiten Tag stellen beide Gruppen fest, daß sie mehr gemein haben, als sie vorher angenommen hatten. Am dritten Tag, so erzählt die BBC- Produzentin Catherine Clay, war die Stimmung so emotionsgeladen, daß beide Gruppen das Kamerateam hinauswerfen wollten.

„Ich hatte Angst. Ich hatte Alpträume“, sagt eine jüdische Teilnehmerin. „Ich fürchtete, daß diese Leute einen Weg finden würden, um zu rationalisieren und zu erklären, was ihre Väter getan haben. Ich wußte, daß ich das nicht tolerieren könnte. Wo ich jetzt aber sehe, wie zerstört auch ihr Leben ist, fühle ich mit ihnen.“ Eine andere Teilnehmerin fügt hinzu: „Die Gewißheit, daß ihr gelitten habt, ist die Voraussetzung dafür, daß ich euch mag.“

Charlie, dessen typhuskranke Mutter nach der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen lebend aus einem Berg von Leichen herausgezogen wurde, sagt: „Die Kinder der Täter fühlen irgendwie mehr Schmerz. Wenn wir in unseren Köpfen am Ende des Alptraums ankommen, dann stoße ich auf zwei gute Menschen. Aber sie stoßen auf mindestens eine schreckliche, üble Person, manchmal auch auf zwei. Sie müssen mit dem Schmerz und dem Schrecken für immer leben.“

Im Laufe der viertägigen Begegnung freundet sich Charlie mit Martin Bormann, dem Sohn des gleichnamigen Hitler-Sekretärs an. Der erinnert sich an einen Besuch des Führers zu Weihnachten. „Er schenkte mir Plastilinsoldaten, einen ganzen Karton voll“, erinnert sich Bormann. Hitler war sein Patenonkel. Seinen Vater hat Bormann als „strengen, aber guten und fairen Vater“ in Erinnerung.

Dirk, Sohn des Gestapochefs in Braunschweig, liest den Abschiedsbrief des Vaters aus der Todeszelle vor. „Er kann es nicht als Verbrechen erkennen, weil er sich nur als Erfüllungsgehilfen gesehen hat“, sagt Dirk. „Renates Vater hat genau gewußt, was er tat. Aber meiner? Es ist beschämend.“ Dirk hätte gerne „einen Vater wie andere auch“ gehabt. „Andererseits bin ich dankbar dafür, daß ich mich nicht mit diesem Vater herumschlagen mußte“, sagt er. „Mein Vater hat bezahlt. Mit mehr kann man nicht bezahlen. Und im Grunde hat er mich dadurch befreit.“ Ralf Sotscheck