Die zehn Milliarden Namen Gottes

■ Kunst für den Ernstfall: Die vier neuen Stipendiaten der Villa Romana bei der GAK in der Weserburg

Es gibt eine Geschichte von Arthur C. Clarke, da sitzen in einem tibetanischen Kloster die Mönche vor einem Riesencomputer und geben Wörter ein, Tag und Nacht und Jahr um Jahr. Es sind die zehn Milliarden Namen Gottes, sagen sie, und wenn der letzte gespeichert ist, geht die Welt unter.

Die Kunst macht sich scheint's auch schon langsam gefaßt: Ute Kessel zum Beispiel fertigt in unendlicher Mühsal sowas wie Hosen und Wämser aus Klebstreifen; Lage um Lage klebt und walkt sie, bis nach tausend Arbeitsschritten Gewänder steif und schimmernd wie aus Pergament entstehen für Kulte, die vielleicht balde erfunden werden. Oder Martin Steiner: Er macht Zeichnungen, fotografiert sie, bemalt die Fotos, steckt sie mit Nadeln zu langen Streifen, ringelt die Streifen zu kleinen Nestern, fotografiert die Nester, bemalt die Fotos und so fort in alle Zeit.

Lauter Werke, die sich mit geradezu liturgischer Beharrlichkeit dem Zeitlichen entziehen, indem sie nur noch um Gotteslohn getan werden, und das nichtendenwollend. In aller Bescheidenheit atmen sie die Hoheit heiliger Handlungen, und ihre Produzenten haben durchaus was von Büßern, die sich grad extra schwer machen, was die Lotterwelt leicht nimmt.

Martin Steiner hat dafür, anders als Ute Kessel, die's schon auch verdient hätte, eines der vier Stipendien der Villa Romana erhalten. 10 Monate lang darf er jetzt in der florentinischen Villa hausen und stecken und ringeln; die Kosten übernimmt der private Trägerverein, in dem die Deutsche Bank ein stilles Wörtchen mitredet. Jedes Jahr werden, an wechselnden Orten, die Preisträger und die Fastpreisträger ausgestellt. Diesmal ist Bremen dran: Die „Gesellschaft für Aktuelle Kunst“ (GAK) zeigt vier Wochen lang in der Weserburg, was die Juroren sich erkoren haben.

Da hört man jetzt also von allen Wänden das Hohelied der Arbeit singen. In die meisten Werke sind zahllose Bearbeitungsschritte eingegangen, haben einander korrigiert, verfeinert und wieder getilgt, bis am Ende das Material in geradezu klösterliches Schweigen verfällt, da es seine Geschichte hinter sich hat. Michael Bardenheuer zum Beispiel, der zweite der Stipendiaten, hat seine Leinwand mit allen Farben der Düsternis behandelt, hat gekratzt, geschabt, gepinselt, geschliffen, und nun schweigt ein Bild in stumpfmetallenem Schwarz; bloß in diesem Fall, da er gar so beliebt ist, kann man das Schweigen einfach nicht mehr hören.

Andere Künstler, wo sie nicht direkt kultische Gegenstände geschaffen haben wie Henry Stöcker mit seinen köstlich dünnbeinigen „Laufbooten“, andere Künstler geben ihrem Material wenigstens die raunende Vieldeutigkeit, wie sie die Theologen über alles lieben: Michael Growe hat es nach langwierigem Bemühen vermocht, sein Zinnober wie Rost und sein Grün wie Grünspan anmuten zu lassen, und Michael Kaul malt und wischt und reibt bräunliches Zeug kunstreich auf der Leinwand herum, bis da gerade so gut ein Furnier hängen könnte.

Überall im Raume hat man mit exegetischen Fragen zu tun. Nur einer hat sich die Umstände gespart: Michel Sauer, der dritte Preisträger. Er hat sich an ein dankbares Verfahren gehalten und einfach wieder mal schwerwiegende Gegenstände aus lästerlichen Materialien nachgebildet, zum Beispiel einen Schrein zusammengenietet aus Plättchen feuerverzinkten Billigblechs, und fertig ist die Laube, wo die Einfalt wohnt.

Und nur eine ist der religiösen Schwermut entkommen in das Reich der Ideen, wenn nicht des Witzes: Karin Sander, die vierte Preisträgerin, von deren Arbeiten leider nur Fotografien an der Wand hängen. Sie ist imstande, verfallene Pissoirs in einem New Yorker Museum mit blauen und roten Teppichböden auszulegen, bis die Räumlichkeiten ersterben vor Rührung; sie schleift und poliert aufs Feinsinnigste an einer gewöhnlichen Wand herum, bis mitten im gekalkten Allerweltsputz ein spiegelglattes Rechteck, man muß sagen: in Erscheinung tritt. Ihr Werk ist es, die Unscheinbarkeit zu beseelen; dafür wird sie geradenwegs in den Himmel der Humanität kommen. Während die anderen sich den Namen Gottes widmen, ist sie hingegangen und hat Gutes getan. Manfred Dworschak

ab heute bis zum 12. Dezember