: Neue Wache: Die Pieta ist ein alter Hut
■ Aktives Museum eröffnete Ausstellung / Scharfe Kritik von Kultursenator Roloff-Momin / Alternativer „Gedenkgang“
Ist der jetzige Leiter des Deutschen Historischen Museums, Christoph Stölzl, ein Ideendieb? Ist etwa sein Vorschlag an Bundeskanzler Kohl, in der Neuen Wache eine Pieta aufzustellen, gar nicht von ihm, sondern von „Fräulein Prof. Dr. Schottmüller“? Dieses akademische Fräulein jedenfalls veröffentlichte im November 1924 in der Zeitschrift Der Kunstwanderer einen Vorschlag, der fast auf den Tag genau neunundsechzig Jahre später verwirklicht wird.
Sie empfahl, Reichspräsident Friedrich Ebert doch in der leerstehenden Neuen Wache ein „Reichsehrenmal“ einzurichten. Der Raum sollte schlicht, mit Oberlicht und wenig figürlichen Schmuck eingerichtet werden (was 1930/31 Heinrich Tessenow auch tat). Und als Mittelpunkt forderte sie eine Skulptur, die aus der deutschen Mystik stamme und in „Idee und Formung deutsch wie kaum eine andere sei“, nämlich eine „Vespergruppe“. Schottmüller: „Man pflegt sie Pieta zu nennen.“
Dieses schöne Aperçu kramte Anja Frey für ihren Beitrag „Ein Blümlein aufs Millionengrab“ aus dem Dunkel der Geschichte der Neuen Wache. Veröffentlicht ist er in der gestern vorgestellten Publikation „Im Irrgarten Deutscher Geschichte. Die Neue Wache von 1918 bis 1933“. Dieses Buch und eine gleichlautende Ausstellung ist der Beitrag des „Aktiven Museums Faschismus und Widerstand“ zur aus Bonn dekretierten Umwidmung der Neuen Wache zur „Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik“.
Eröffnet wurde sie gestern abend von Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, und zu besichtigen ist sie bis zum 28. Januar, gleich links von der Gedenkstätte, in der Galerie der Humboldt-Universität. In seiner Rede kritisierte Momin, daß die „Trauerarbeit der Nation“ durch „Kanzlerbeschluß“ zum „Monopol der Regierung“ geworden sei. Die jetzige Ausgestaltung der Neuen Wache sei ein Versuch, „die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 zu relativieren“. Die Gedenkstätte werde damit „zum materiellen Ausdruck dessen, was Herr Heitmann als ,Einordnen der NS-Zeit in die deutsche Geschichte gefordert hat‘“.
Der Kultursenator wird an der Einweihungszeremonie nicht teilnehmen. Das tun 250 schweigende „Ehrengäste“ der Regierung. Der Kanzler-Kranz wird von zwei wehrpflichtigen Soldaten und acht Berliner Schülern in die Neue Wache getragen. Die Fraktion Bündnis 90/Grüne zeigte sich in einer Presseerklärung darüber „entsetzt“. Zufrieden ist des Bundeskanzlers Staatsminister Anton Pfeifer. Er sei sicher, daß die Bevölkerung diese Gedenkstätte „annehmen“ werde. Die Umgestaltung habe 1,4 Millionen Mark gekostet. Mehr als 250 Gäste werden sicher die Gegner der Gedenkstätte am Sonntag versammeln. Das Aktive Museum bittet um Beteiligung bei einem „Gedenkgang“ für die wirklichen Opfer der Nazidiktatur. Er beginnt um 11 Uhr auf dem Gestapo-Gelände, führt zum Ballhaus Clou, der Sammelstelle für die Deportation der Juden, und endet in der Tiergartenstraße, dem Ort von T 4, der NS-Organisation für den Massenmord an Kranken und Behinderten. Anita Kugler
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