Tag der Ehrenbezeigung

Griechenlands Fußballmärchen fehlt nur noch das letzte Kapitel: Ein Sieg gegen Rußland  ■ Von Günter Rohrbacher-List

Berlin (taz) – Die beste Zeit, den Olymp zu besteigen, ist der Juni oder Juli, wenn man dem „Velbinger“ glauben darf. Warme Kleidung wird trotz hochsommerlicher Hitze empfohlen – für die kühleren Höhenzonen. Gewarnt wird vor dem wechselhaften Wetter dort droben, und häufig hängt der Fast-Dreitausender vollständig in Wolken. Die griechische Fußballnationalmannschaft erreichte den Gipfel des Olymp bereits in diesem Mai. Mit einem 1 : 1 in Moskau gegen Rußland qualifizierten sich die Griechen erstmals für eine Fußballweltmeisterschaft und mischen vom 17. Juni bis 17. Juli 1994 in den USA mit. Böse Zungen behaupteten allerdings, Griechenland sei lediglich Nutznießer der Fifa-Sperre für Jugoslawien, dem ursprünglichen Favoriten der Gruppe. Ein Sieg im letzten Gruppenspiel gegen Rußland am nächsten Mittwoch soll nun alle Nörgler zum Verstummen bringen.

Ausschlaggebend für den Erfolg ist vor allem ein Mann – Alketas Panagoulias, der Trainer, der bereits 1980 das griechische Team zur Europameisterschafts-Endrunde nach Italien geführt hatte. Seinerzeit gelang den Griechen ein überraschendes 0 : 0 in der Vorrunde gegen die BRD. Panagoulias (59) setzte seine internationale Reputation – er war US-Nationaltrainer und coachte unter anderem der Griechen Lieblingsclub Olympiakos Piräus – aufs Spiel, als er sich zum dritten Mal in seiner Karriere der Nationalmannschaft annahm, einer „todkranken Auswahl ohne Zukunft“. Das Risiko lohnte sich – für ihn und für die Spieler. In weniger als einem Jahr avancierten die Griechen zu einem der erfolgreichsten Teams Europas. Zweimal schlugen sie Island mit 1 : 0, trennten sich 0 : 0 von Ungarn, um gegen Luxemburg mit 2 : 0 und in Ungarn mit 1 : 0 zu triumphieren. Am 23. Mai, als die Russen das 0:1 durch den 36 Jahre alten Anastasio Mitropulos vom zehnmaligen Meister AEK Athen nur durch einen Foulelfmeter ausgleichen konnten, war Griechenland dann für die WM '94 qualifiziert.

Seit 1890, als der Fußball in Griechenland mit der Gründung des Athener Clubs Panionos seinen Anfang genommen hatte, ist dies der größte internationale Erfolg überhaupt. Auch das 1971 von Panathinaikos Athen mit 0 : 1 verlorene Europapokalendspiel gegen Ajax Amsterdam zählt nichts gegen das Ticket für die Weltmeisterschaft 1994.

In Deutschland hat man bis 1980 und auch danach den griechischen Fußball eher von oben herab betrachtet. Nur selten verirrten sich Deutsche dorthin und Griechen hierher, um mit dem Ball ihr Geld zu verdienen. Eine Ausnahme war das Enfant terrible der Frankfurter Eintracht der siebziger Jahre, Thomas Rohrbach, der für Olympiakos Piräus spielte. Als Trainer in Griechenland wirkten immerhin Dettmar Cramer bei Aris Saloniki und Diethelm Ferner sowie Friedel Rausch bei Iraklis Saloniki. Letzterer gar mit großem Erfolg, dem einzigen Pokalsieg des Vereins bisher. Rausch, jetzt Trainer des 1. FC Kaiserslautern, bricht eine Lanze für die kecken Griechen. „Daß sie sich qualifiziert haben, ist toll und überrascht mich überhaupt nicht. Daß man überrascht ist, zeigt doch nur, wie überheblich man hier in Deutschland auf vermeintlich kleinere Länder herabblickt, auf Norwegen, die Schweiz, früher auf Dänemark. Sie alle, auch die Griechen, werden ihren Weg bei der WM gehen.“

Einige Spieler aus dem Nationalteam kennt Rausch noch aus seiner Zeit in Saloniki. Ein anderer Kenner des griechischen Fußballs in Deutschland, der einmalige Nationalspieler Dimitrios Tsionanis, der damals beim SV Waldhof Mannheim spielte und heute für den SV Mörlenbach in der hessischen Oberliga kickt, erinnert sich ebenfalls noch an einige „aus seiner Zeit“. „Wenn sie eine gute Auslosung haben, können sie weit kommen“, glaubt er nicht an eine hellenische Blamage.

Daß der griechische Fußball international so wenig Beachtung findet, gründet in dem ewigen und langweiligen Dreikampf zwischen den Abonnement-Meistern und Pokalsiegern Olympiakos Piräus, Panathinaikos und AEK Athen. Sie teilen sich 50 der 57 Meistertitel und 38 von 46 Pokalgewinnen. Dominiert wird die griechische Liga heute von Spielern aus dem ehemaligen Jugoslawien. Von den 18 Clubs der ersten Division sind nur fünf „ohne“. Montenegriner, Serben, Mazedonier, Bosnier und Kroaten kicken mal hüben, mal drüben, doch selten gemeinsam für den gleichen Verein. Auch der Erfolgstrainer der letzten fünf Jahre, Dusan Bajević, Coach von AEK Athen, ist ein in Bosnien-Herzegowina geborener Serbe, der den Club aus Nea Philadelphia seit 1988 zu drei Meistertiteln führte. Sein Mut, den schon 36 Jahre alten und bereits ausgemusterten Mitropoulos wieder zu aktivieren, hat den Boom in der Nationalelf mit ausgelöst. „Prinz von Neretva“ haben sie ihn getauft nach einem See in seiner herzegowinischen Heimat.

Bajević und alle anderen Spieler und Trainer der griechischen Liga werden im laufenden Meisterschaftsjahr unter ständiger internationaler Beobachtung stehen, spätestens nach der Auslosung der WM-Gruppen am 19. Dezember in den USA. Doch davor haben die Göttinnen und Götter des Olymp noch den 17. November gesetzt. Das Spiel gegen Rußland, für Alketas Panagoulias der „Tag der Ehrenbezeigung“. Ein Sieg gegen Rußland würde alle Zweifel an der Reputation Griechenlands beseitigen. Von wegen Jugoslawien...