Betr.: "Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist übriggeblieben ", Interview mit Gregor Gysi, taz vom 6.11.93

Worauf setzt also Gregor Gysi? Zunächst einmal auf Leute, die ihre Interessen nicht selber in die Hand nehmen wollen, sondern sie vertreten lassen möchten. Ferner auf solche, die keineswegs einen Klassengegensatz, sondern lediglich einen (Haupt-)Unterschied zwischen oben und unten festgestellt haben, der weder sein sollte noch müßte. Für Leute also, die die Investitionen des Kapitals als Bedingung für ihr eigenes Wohl gelten lassen (dafür muß auch laut Gysi der Staat die nationalen Rahmenbedingungen abstecken!)

Außerdem setzt er auf mehr Moral gegen die „Ellbogengesellschaft“ und gegen die Demütigung der Ostbürger – in Ignoranz der anderen Seite der Demütigung: die auf den Westen und sein System gesetzten Illusionen. Illusionen aber zu betreuen und zu nähren, ist durchaus Gysis Sache.

Schließlich kann er durchaus gegen BW-Einsätze, Maastricht, Paragraph 218, neues Asylrecht etc. sein, ohne auch davon irgend etwas in Frage zu stellen, denn es handelt sich laut Gysi um „Politikansätze“, also keineswegs um durchzusetzende Notwendigkeiten.

Opportunismus? Sozialdemokratismus? Untertanenverdummung? Anstrengende Splittergruppe (im Westen)? Oder einfach interessante Politik? Wolfgang Richter, Augsburg