Ein Meer unter der Sahara

Savornins Meer, ein gigantisches Süßwasser-Reservoir unter der Wüste, könnte die Sahara in blühende Gärten verwandeln / Doch die jahrtausendalte Quelle würde schnell versiegen  ■ Von Mirko Smiljanic

Bahr bela ma, Meer ohne Wasser. So nennen Araber seit Jahrhunderten die Sahara: Auf neun Millionen Quadratkilometern findet sich jede nur vorstellbare Landschaft, die ein heißes und wasserarmes Klima hervorbringen kann. Doch so ausgedörrt die Sahara auch ist, an einigen Stellen steht Wasser. Inmitten der Extremwüste östlich des Tebesti-Gebirges beispielsweise liegt der zwanzig Quadratkilometer große See von Ounianga Kebir. Normalerweise würde sein Wasserspiegel jedes Jahr um sieben Meter sinken, doch der See trocknet niemals aus! Er speist sich aus einem schier unerschöpflichen unterirdischen Reservoire, das der französische Hydrologe Justin Savornin in den zwanziger Jahren fand. „Savornins Meer“ nannten Afrikaner seine Entdeckung und träumten den ewigen Traum aller Saharabewohner: Daß unterm Wüstensand Wasser fließt, mit dem sie die öde Leere in blühende Gärten verwandeln.

Die Sahara besteht, geologisch gesehen, aus elf Becken mit jeweils wasserundurchlässigen Sedimentböden. Ähnlich riesigen Schüsseln, die tiefsten Becken reichen fünftausend Meter hinunter, sammelten und stauten sich in den freien Poren die Niederschläge der letzten Millionen Jahre. Weil sich Regen- und Trockenphasen wiederholt und für lange Zeiträume abwechselten, füllten sich nach und nach die Becken mit dem fossilen Süßwasser in geradezu gigantischer Menge: Bedeckte man Deutschland mit Savornins Meer, das Land versänke in sechshundert Meter tiefen Fluten.

Trotz dieser riesigen Reserven würde das Wasser bei intensiver Nutzung aber nur einige hundert Jahre reichen, es sei denn, die Becken füllten sich allmählich wieder auf.

Daß dies geschieht, vertraten noch bis vor wenigen Jahren viele Wissenschaftler. Grund für ihren Optimismus: Südlich der Sahara ragen große Gebirge in die Höhe, an deren Hängen sich Wolken ausregnen. Weil diese Gebirge gleichzeitig am Südrand der unterirdischen Wasserspeicher liegen, folgerten sie, fließt der Regen von den Bergflanken in die Becken und füllt sie so beständig auf. Theoretisch ist diese Annahme richtig; die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Wissenschaftler des Sonderforschungsbereiches 69 „Geowissenschaftliche Probleme arider und semiarider Gebiete“ der TU und FU Berlin – übrigens das weltweit größte geowissenschaftliche Forschungsvorhaben über die Sahara – entwickelten Grundwasserströmungsmodelle mit erstaunlichen Resultaten: Die Fließgeschwindigkeit des Wassers liegt bei nur etwa einem Meter pro Jahr. In tausend Jahren fließt es also einen Kilometer, in zehntausend Jahren zehn Kilometer. Die tatsächliche hydrologische Situation unter der Wüste läßt sich aber nur erklären, wenn das Wasser sehr viel schneller sehr viel größere Distanzen überwinden würde. Folgerichtiger ist da schon die These vom versickerten Niederschlag vergangener Regenperioden, zumal die Sahara in den letzten zehntausend Jahren, das entspräche einer Wasserwanderung von nur zehn Kilometern, drei Klimawechsel erlebte.

Womit freilich noch nicht geklärt war, wie sich Savornins Meer denn nun genau gebildet hat, oder anders ausgedrückt: In welchen Rhythmen und mit welcher Intensität die Klimaphasen wechselten. Mit dieser Frage beschäftigen sich die Wissenschaftler. So fanden sie unter anderem in tiefer gelegenen Wüstenbereichen Reste ehemaliger großer Seen, aus deren errechneten Wasserspiegelschwankungen sie klimatische Veränderungen rekonstruierten; sie folgerten aus der heute noch im Sudan oder südlich der Sahara im Sahel lebenden Fauna – Elefanten, Rhinozerosse, Hyänen und bestimmte Fischarten – welche ökologische Situation in welchen Bereichen zu welcher Zeit geherrscht haben muß; und sie bestimmten mit C14- Methoden das Alter und die Herkunft der verschiedenen Grundwasserschichten. So stammten etwa die Grundwässer der mittleren und nördlichen Sahara aus Regenfronten vom Atlantik, während in der Südsahara die Grundwässer etwa durch Monsunregen beziehungsweise durch die tropische Zirkulation ergänzt worden sind.

Alle Informationen zusammengesetzt, ergeben ein Bild über die Entwicklung der Sahara in den letzten zehntausend Jahren, sie zeigen aber auch, in welcher Phase sie sich heute befindet. Als ein wichtiges Ergebnis gilt dabei, daß die natürliche Austrocknung noch nicht abgeschlossen ist. Erst wenn kein Grundwasser mehr verdunstet, wird die Sahara ihre maximale Trockenheit und maximale Ausdehnung erreicht haben. Wann das sein wird, läßt sich nur schwer abschätzen, weil sich zunehmend natürliche und menschengemachte Effekte überschneiden.

Daß die Grundwasservorräte fossil sind und sich nicht erneuern, verlangt Konsequenzen. Eine großflächige landwirtschaftliche Nutzung der Wüstenregion, die Bewässerungsprojekte des Kufra- Beckens beispielsweise, verbietet sich nach den Erkenntnissen der Hydrologen. Wer zuviel Wasser heraufpumpt, senkt den Grundwasserspiegel, läßt die tiefwurzelnde Vegetation absterben und natürliche Oasen austrocknen. Außerdem müssen die Bauern in heißen Wüstenregionen extrem viel Wasser einsetzen, um Bewässerungseffekte zu erreichen. Weil eine ökologisch sinnvolle Tröpfchenbewässerung unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen zu kostspielig ist, fließt ohnehin viel Wasser in die Gärten und Plantagen, mit der Konsequenz, daß nach zwei, drei Jahren der Boden versalzt. Also durchspülen ihn die Bauern. Der dabei extrem hohe Wasserverbrauch – beim Waschen der Böden nutzen sie mehr Wasser als für die Bewässerung selbst – reduziert aber den natürlichen Brunnendruck; also werden Pumpen installiert, die den Grundwasserspiegel noch tiefer absenken. Langsam wird Wasser wieder knapp, und um knappe Güter gibt es Verteilungskämpfe.

Mit diesem Problem beschäftigt sich eine Göttinger Soziologengruppe. Ihre Resultate zeigen einmal mehr die sozioökologischen und soziokulturellen Konsequenzen von Wassermangel und -reichtum. Daß Nomaden ihr Verhalten ändern und seßhaft werden, zählt da noch zu den harmlosen Auswirkungen. Weitaus dramatischer ist die Tatsache, daß Wasser zum Handelsgut avanciert. Große Gebiete der Sahara und der Sahel sind seit Jahrhunderten aufgeteilt unter rivalisierenden Stämmen, die sich je nach politischer Lage, Durchzugsrechte gewähren oder verwehren. Im Zentrum aller Strategien steht dabei die Frage, wo genügend Wasser fließt, um Tiere und Menschen zu versorgen. Wer in dieses fein austarierte System eingreift und einer einzelnen Gruppe Wasserreichtum verschafft, weil ihr Land zufällig über einem der Becken liegt, provoziert bewaffnete Auseinandersetzungen bis hin zu Kriegen. Dieser Gefahr sind sich die Wissenschaftler der Sonderforschungsbereichs 69 zwar bewußt, eine Lösung wissen sie aber auch nicht. Denn mächtiger als jede Mahnung ist der alte Traum aller Saharabewohner, daß unterm Wüstensand Wasser fließt, mit dem sie die öde Leere in blühende Gärten verwandeln.