Gewehr ab, Kranz-Abwurfstelle auf

■ Die Spitze des Staates widmete in Berlin die Neue Wache um / Demonstranten festgenommen

Berlin (taz) – Die Berliner sind undankbar. Da schenkte ihnen gestern mittag Bundeskanzler Kohl eine „Zentrale Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“, und sie buhten und pfiffen, trotz Regen, Schnee und sibirischer Kälte. Sie lieferten sich mit der Polizei, genau fünfzig Meter gegenüber der Neuen Wache, einen leidenschaftlichen Lappenkrieg und ihre Chöre „Deutsche Täter sind keine Opfer“ übertönten lässig den Punkt 6 der Tagesordnung: „Der Trompeter spielt eine choralartige Melodie aus der 1. Symphonie von Johannes Brahms.“ Es war ein Kampf von etwa 400 Demonstranten gegen die alte und neue Geschichtsklitterung der Bundesregierung die da lautet: Im Tod sind alle gleich, egal wer, wie, wo und durch wen ums Leben gekommen ist.

Höhepunkt der Umwidmung der Neuen Wache zu einem Bundesehrenmal blieb dennoch und trotz einiger Verhaftungen die Zeremonie der Kranzniederlegung. Acht Berliner Schüler und zwei wehrpflichtige Soldaten schleppten fünf schwarzrotgold geschmückte Trauerringe in die Neue Wache, gefolgt von den fünf Repräsentanten der Verfassungsorgane, nämlich von dem Bundespräsidenten (nur er in Begleitung eines Schirmträgers), der Bundestagspräsidentin, dem Vizepräsidenten des Bundesrates, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes und dem Bundeskanzler.

„Gewehr ab, Augen ... links“, bellte ein heiserer Bundeswehroffizier – entgegen aller Absprachen mit den Kollwitz-Erben, die sich jedwedes militärisches Brimborium innerhalb und außerhalb der Neuen Wache verbeten hatten. Denn die im Inneren der Gedenkstätte ruhende und überlebensgroß nachgebildete Skulptur von Käthe Kollwitz „Mutter mit totem Sohn“ soll den „Pazifismus“ symbolisieren. Vor dieser Figur legten, so Punkt 4 der Zeremonie, die Kranzträger ihre Last ab und es folgte Punkt 5: „Die Repräsentanten richten die Kranzschleifen.“

Diese feierlichen Sekunden entgingen traurigerweise den etwa 250 Ehrengästen der Regierung, darunter auch dem Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis. Sie durften erst nach Punkt 7 der Tagesordnung „die Repräsentanten ... gehen zu ihren Fahrzeugen und fahren ab“ ihre plastikbestuhlte Empore außerhalb der Neuen Wache verlassen. Da waren sie schon sehr naß. Zuvor waren sie im Trockenen im Reichstag gesessen, bei der Feierstunde des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge. Die Hauptrede hielt Bundesfinanzminister Theo Waigel, der in einem dialektischen Sprung Max Horckheimer zum Befürworter der bundesrepublikanischen Gedenkstätte verdrehte. Nach einem Exkurs über die Trauer, aus der die „Hoffnung“ und die „Kraft der Versöhnung“ entspringe, zitierte der Bayer: „Es darf nicht sein, daß der Henker endgültig über sein Opfer triumphiert.“

Aber genau diese Gefahr bestehe, wenn von Schuld und Verantwortung nicht die Rede ist, meinten gestern die Gegner der Zentralen Gedenkstätte, darunter auch der Berliner Kultursenator Ulrich Roloff- Momin. Demonstrativ war er allen offiziellen Veranstaltungen ferngeblieben, um mit einigen hundert ehemaligen Widerstandskämpfern, verfolgten Juden – darunter auch zwei amerikanische Rabbis – und Freunden des „Aktiven Museums Faschismus und Widerstand“ einen Gedenkgang zu den Stätten des Leidens im Nationalsozialimus zu machen. Roloff-Momin kritisierte: „Die Neue Wache wird zum materiellen Ausdruck dessen, was Herr Heitmann als ,Einordnen‘ der NS-Zeit in die deutsche Geschichte gefordert hat.“ Anita Kugler