Entfesselung mit der Axt

■ Hans-Michael Rehberg inszeniert Arnolt Bronnens „Vatermord“ in Köln

Väter muß man morden, wissen alle Söhne, metaphorisch jedenfalls. Seit Anno Ödipus gilt jedem jungen Mann: der Greis, der mir den Weg vertritt, muß weg. Doch Dostojewski, Shakespeare, Sophokles, sie alle schmücken ihren Parricida mit etwas Drumherum – Ideologie, Philosophie, Psychologie. Bei Arnolt Bronnen kleben nur noch ein paar sozialkritische Eierschalenreste am unverhüllten Triebgeschehen. Er stellt das Haupt- und Urverbrechen ganz traumhaft nackt dar.

„Expressionistisch gesteilte Pornographie“ nannte Klaus Mann das. „Vatermord“, geschrieben im Kriegsjahr 1915, aber erst sieben Jahre später uraufgeführt, steht am Anfang von Bronnens Dramenproduktion. Was zu Bronnens Lebzeiten als empörendes Beispiel von Gesinnungslosigkeit galt, erscheint heute eher als gesellschaftlich typischer Fall. Wie ein politisches Chamäleon durchlief er jähe Wendungen vom rebellischen Apostel der Jugend-Autonomie zum „faschistischen Pikkolo“ und Goebbels-Freund; zum Widerstandskämpfer, kommunistischen Bürgermeister und späterem Theaterkritiker – von DDR-Kulturminister Becher protegiert. Diese deutsche Biographie ohne Identität beginnt literarisch wie psychologisch mit „Vatermord“. „Wer ist das ich“, heißt es schon in Bronnens Erstling.

„Vatermord“ zeigt eine einzige Situation in sich stetig steigernder Entwicklung. Das ödipale Dreieck rotiert auf der Stelle. Die Wirkung von Hans-Michael Rehbergs Inszenierung beruht auf Tempo und Intensität, die das Spiel steuern. Vom harmlosen Geschwistergeplänkel des Anfangs über die ersten gewalttätigen Konfrontationen von Vater und Sohn, über Zwischenspiele der Scheinversöhnung schiebt sich die Inszenierung immer heftiger in die Katastrophe hinein. Der Regisseur bremst, wo der Autor rast, so wird die Schubkraft des Stückes vorgeführt.

Hans-Michael Rehberg, Sohn eines gleichfalls widersprüchlich mit den Nazis verbundenen Dra

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matikerkollegen Bronnens, inszeniert genau. Das wilde, zügellose Stück beginnt in Köln ganz ruhig und diszipliniert: Gefaßt, ganz der verständnisvolle Vater, steht Gerd Kunath als Ignaz Fessel unbeweglich, die Hände auf den Tisch gestützt, neben seinem Sohn und redet vernünftig auf ihn ein.

Doch diese Fassade bröckelt. Die Ruhe des Vaters ist Resultat der Gewalt gegen sich selbst, und diese Gewalt bricht aus gegen den Sohn. Aber noch bei der schlimmsten Demütigung des Sohnes bleibt Kunaths Stimme in tonloser Mittellage. Auch bevor er sich auf den am Boden liegenden Sohn legt und ihn so mit der eigenen Körperfülle ersticken will, kündigt er seine Handlung leise, wie resigniert an: „Jetzt aber mach ich's kurz.“ Dieser Vater ist am gefährlichsten, wenn er sich völlig unter Kontrolle hat, im Suff wird er versöhnlich. Ein lautes Wort, das unkontrollierte Hämmern mit der Faust, das sind Siegeszeichen für den Sohn.

Gegen einen solchen Vater hat es nicht nur der Sohn, sondern auch ein junger Schauspieler schwer. Jan Schütte spielt ein fahles Nichts. Mit hohlen Wangen und rundem Rücken schlurft er stotternd über die Bühne. Eine solche Null muß zum extremsten Mittel der Selbstbehauptung greifen und ist doch weniger bühnenfüllend als ein kunstgerecht fieser Vater. Der Sohn muß auf seinen schmalen Schultern auch die ganze Last des expressionistischen Pathos tragen. Rehbergs Inszenierung aber nimmt noch den verbliebenen Rest an Jugendschwulst zurück.

Trotz einiger Unstimmigkeiten im Milieu – die repräsentative Bürgerlichkeit der Eltern paßt nicht zu ihrer Armut und ihrem proletarischen Bewußtsein – und in der Zeit – der jüngere Sohn Rolf kaut Kaugummi mit rückwärts gedrehter Schirmmütze, während alle anderen Charaktere in Kleidung und Verhalten im historischen Rahmen bleiben – ist Rehbergs Einstand als Regisseur und als designierter Kodirektor des Kölner Schauspiels glänzend gelungen.

Ein Meisterstück ist auch der Schluß der Inszenierung. Der Sohn schleift den erstochenen Vater auf den Tisch, holt eine Axt, setzt sich rittlings auf den Toten, öffnet dessen Hemd, holt aus und schlägt wahrhaftig zu, daß das Blut spritzt. Sein leise in den toten Vater hinein gesprochener, berühmter Schlußmonolog „Es drängt zittert stöhnt klagt muß auf schwillt quillt sprengt fliegt muß auf muß auf/Ich/ Ich blühe“ geht unter im Nach- Luft-Schnappen und schrillen Gelächter des Publikums. (Der Schauspieler war unauffällig gegen eine ihm täuschend ähnelnde Attrappe ausgetauscht worden). Der Realismus wird zur Groteske, und die betroffene Verstörung im Publikum schlägt um in ausgelassene Heiterkeit. Erleichtert sieht man Kunath sich unversehrt beim Schlußapplaus verneigen. Gerhard Preußer

Arnolt Bronnen, Vatermord. Kölner Schauspiel (Schauspielhaus). Inszenierung: Hans-Michael Rehberg, Bühnenbild: Michael Sellmann. Mit: Jan Schütte, Gerd Kunath, Barbara Petritsch.