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Begeisterung über pessimistische Prognose

■ Viel Lob für die Analyse der Fünf Weisen / Kritik an Vorschlägen

Bonn/Berlin (taz/dpa) – Fast begeistert ist in der Wirtschaft und bei Gewerkschaften gestern das pessimistische Jahresgutachten der fünf Wirtschaftsweisen aufgenommen worden. „Es gibt keine Anzeichen für eine Erholung“, sagte der Kölner Wirtschaftsprofessor Herbert Hax, Vorsitzender des Gremiums, und erntete dafür Beifall sogar bei der kritischen „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“. Nach dem allzu optimistischen Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute, die 1994 für Westdeutschland ein einprozentiges Wirtschaftswachstum weissagten, wirkte der ehrliche Pessimismus offenbar befreiend: Nullwachstum und vier Millionen Arbeitslose – da überzeugte sogar der etwas schwülstige Titel „Zeit zum Handeln“.

Die Handlungsanweisungen der Fünf aus dem „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamwirtschaftlichen Entwicklung“ stießen allerdings auf Widerspruch. Die Gewerkschaften forderten mit der SPD den Ausbau der Arbeitsmarktpolitik, während Industrie, Banken, Handwerk ebenso wie die Fünf Weisen auf konsequentes staatliches Sparen und eine Stärkung der Investitionen setzen.

Ein „glaubwürdiger Kurs zur Haushaltskonsolidierung“ sei nötig, sagte Hax. Die Stimmungskrise der Wirtschaft sei nicht überwunden, so daß es auch noch keine Bereitschaft zu Investitionen gebe.

Es gehe aber nicht um hektischen Aktionismus. Vor allem die Probleme am Arbeitsmarkt ließen sich nicht mit schnell zusammengestellten Programmen beheben. Die Bundesregierung müsse „Zeichen setzen für die Stärkung der Antriebskräfte“. Die Unternehmensteuerreform müsse vorangetrieben und zumindest das Ziel jetzt festgelegt werden, auch wenn sie derzeit nicht zu finanzieren sei, ergänzte Hax' Kollege Prof. Rolf Peffekoven – was Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) in einer ersten Stellungnahme brav versprach.

Zur Viertagewoche erklärte Hax, Arbeitszeitverkürzung sei kein generelles Rezept. Der Rat sei jedoch offen für einzelne betriebliche Lösungen wie jetzt bei VW, wenn sich die Kosten nicht erhöhten und Arbeitsplätze erhalten würden. Prof. Jürgen Donges sagte dazu, die Arbeit in Deutschland sei nicht allgemein knapp, sondern nur zu den herrschenden Löhnen.

Prof. Horst Siebert verwies auf eine „Produktivitätstreppe“ in der Wirtschaft, die sich am Arbeitsmarkt und bei den Löhnen wiederfinden müsse. Auch in einem Hochlohnland müßten auf den unteren Stufen dieser Treppe niedriger bezahlte Arbeitsplätze in allen Branchen gefunden werden. Die aktive Arbeitsmarktpolitik des Staates müsse vor allem auf die schnelle Rückkehr in den regulären Arbeitsmarkt ausgerichtet sein. Zumutbarkeitskriterien seien strikt anzuwenden, private Arbeitsvermittlung sei stärker zu nutzen.

Für den Bremer Professor Rudolf Hickel von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik zeigt sich in diesem Handlungskatalog, daß sie die Fehler in der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre „immer noch nicht begriffen haben“. Ihr Konzept der Kostenreduzierung durch Lohnverzicht und Konsolidierung über Ausgabenkürzungen des Staates gleiche „prozyklischer Schrumpfpolitik nach Brüningschem Muster“. Damit werde die Krise noch vertieft, denn deren Ursache sei die fehlende Nachfrage nach Produkten. Wie allerdings ein Konjunkturprogramm bei leeren Kassen bezahlt werden kann, sagte Hickel allerdings nicht. dri

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