Denkverbot für lokale Mitbestimmung

■ Lokale Demokratie in Europa: Stadtstaaten passé, Beiräte kontraproduktiv?

„Denkverbot“ nennt es Ortsamtsleiter Hucky Heck, als eine offensichtliche „gewisse Hemmung“ bezeichnen es die auswärtigen Gäste: Da sollte der glühende Verfechter vom mehr Kompetenzen für die Stadtteilbeiräte auf der Tagung „Chancen und Grenzen territorialer Autonomie“ mit seinen Widersachern aus Verwaltung und Politik streiten, und dann das: Interessiert vernahmen Vertreter aus Japan, Belgien und Italien die bremischen Feinheiten im Kampf um Mitbestimmung vor Ort, doch die hiesigen Meinungsmacher in Sachen „Politik von oben“ kniffen allesamt. So kam auch die in letzter Zeit vorgeschlagene Version der Bezirksvertretungen nicht zur Diskussion - von Behördenseite mag sich niemand mehr dazu äußern. Bau- Staatsrat Jürgen Lüthge („Mit mehr Beiratsrechten wird die Stadt unregierbar“) beobachtet derzeit lieber Vögel in Texas, Finanzsenator Kröning sagte seine Teilnahme ab, und auch ein Vertreter des Senators für Justiz und Verfassung ließ sich nicht bei der vom Umweltsenator und Uni Bremen veranstalteten Tagung blicken. Und so stritt der „Viertelbürgermeister“ - eine umgangssprachliche Bezeichnung, die seine aktuellen Kompetenzen maßlos überzeichnet - eben mit sich selbst.

Während Stadtteilvertretungen in Rotterdam zum Beispiel seit langem etabliert sind und jetzt den Grundstein zur Neubildung einer stadtstaat-ähnlichen „Stadtprovinz“ bilden, ist die BürgerInnen- Partizipation in Bremen noch immer ein heißes Eisen. „Die Beiräte sind deshalb so gefährlich, weil sie die Sonntagsreden der großen Politik - im Gegensatz zu ihr selbst - plötzlich ernst nehmen und auch noch umsetzen wollen“, sagt Hucky Heck. Seine Entgegnung auf den Vorwurf der Kirchturmpolitik, die alles lahmlege: „Entscheidungsrechte vor Ort zu delegieren, stärkt die Verantwortlichkeit und Identifikation.“ Und was sei Politik - Straße A gegen B, Bundesland C gegen D, Nationalstaat E gegen F und die EG gegen den US-Wirtschaftsraum - schon anderes als Kirchturmpolitik? In den Beispielen aus anderen europäischen Städten, die eine Mitbestimmung nach unten etabliert haben, zeigte sich vor allem ein Phänomen: Das politische Engagement der BürgerInnen ist gestiegen, die Wahlbeteiligung hoch. Heck: „Wir wollen die Kirchturmpolitik!“

Stadtstaat: Anachronismus oder Utopie?

Das Beispiel Rotterdam zeigt: Hier versank die Stadt keineswegs unter den Wassern einer prompten Springflut, nur weil Anfang der achtziger Jahre die BürgerInnen weitgehend an der umfassenden Stadtsanierung beteiligt wurden. Den BewohnervertreterInnen wurde gar ein Vetorecht zugebilligt: ohne ihre Zustimmung ging gar nichts. Auch wenn dieses Beteiligungssystem von einem parlamentarisch-repräsentativen Teilgemeindesystem abgelöst wurde: Rotterdam gilt mittlerweile als „Laboratorium innerstädtischer Dezentralisierung“ und ist nun gemeinsam mit seinen Umlandgemeinden auf dem Weg zur „Stadsregio“.

Eine solche Entwicklung in der föderalistischen Bundesrepublik: völlig undenkbar. Mit Zähnen und Klauen werden hier Ländergrenzen verteidigt. Doch haben die Stadtstaaten im Europa der Regionen überhaupt noch eine Zukunft? Die neue Regelung zum Länderfinanzausgleich und damit die Sanierung Bremens wurde nicht mit objektiven, sondern instrumentellen Argumenten und der Schützenhilfe der Länder durchgedrückt, die ebenfalls aus Eigennutz ein Interesse an dieser Lösung hatten. Wer will eigentlich inhaltlich das Bundesland Bremen?

Eine Diskussion über Sinn und Unsinn von Stadtstaaten wird hier tunlichst vermieden, man ist ja gerade noch einmal davongekommen. Nur zu, ermutigte der Prof. Häußermann von der Berliner Humboldt- Universität: „Es ändert sich ja doch nichts“, befand er und holte aus zum Rundumschlag: Stadtstaaten seien anachronistisch, weniger leistungsfähig, zu teuer und behinderten eine regionale Verflechtung. Übrig bliebe lediglich der Stadtstaat als Utopie: Als ökologisch orientierte Selbstbestimmungs-Oase zum Beispiel, die aber darauf verzichten müsse, im internationalen Wettbewerb mithalten zu wollen.

Für Bremen wäre eine solche Entscheidung zu schön, um wahr zu sein. Und im Vergleich zu anderen, funktionierenden Stadtstaaten sind die Sachargumente pro Bremen mager: es dient zum Beispiel nicht wie Brüssel als Bollwerk zwischen Flamen und Wallonen und somit als gewollter (und hoher) Preis für den Frieden. „Eine Minderung der Schlagkraft der Seehafenwirtschaft durch deren Eingliederung in Flächenstaaten würde die maritimen Interessen der Bundesrepublik beeinträchtigen.“ Derart gewichtig argumentierte Bremen im Jahr 1970 für sein Überleben als kleinstes Bundesland. Daß dies „im Mittelalter von erheblicher Bedeutung“ gewesen sein möge, so kommentierte zwei Jahre später die Ernst-Kommission bei ihrer Überprüfung des Zuschnittes der Bundesländer diese bremische Position und kam zu dem Ergebnis: Eine „bedarfsgerechte und wirtschaftliche Erfüllung heutiger und zukünftiger Verwaltungsaufgaben (ist) erst bei Ländern mit mindestens 5 Millionen Einwohnern als gesichert anzusehen“.

Dennoch: Im Jahr 1976 wurde nicht die im Grundgesetz festgeschriebene Länder-Neugliederung vorgenommen, sondern der entsprechende Passus aus dem Grundgesetz gestrichen - alles blieb beim alten und wird es auch jetzt nach der Eingliederung der neuen Bundesländer bleiben. Schicksal oder Chance? Susanne Kaiser