Südafrika in neuer Verfassung

■ In letzter Minute einigten sich Regierung und ANC auf vorläufigen Kompromiß – ohne Inkatha

Johannesburg (taz) – Den längsten 45 Monaten in der Geschichte Südafrikas folgte am Mittwoch der längste Tag der Verhandlungen um Südafrikas Zukunft. Am Dienstag noch hatten ANC-Präsident Nelson Mandela und Staatspräsident Frederik W. de Klerk nach einem vierstündigen Treffen versichert, alle Fragen seien geklärt. Am Mittwoch zeigte sich, daß dies nicht stimmte. Die Gespräche standen wenige Stunden vor Abschluß auf der Kippe. Regierung und ANC konnten sich nicht in der Frage einigen, mit welcher Mehrheit Kabinettsbeschlüsse gefaßt werden sollen. Die Lösung: Das Übergangskabinett soll Entscheidungen „im Geist der Regierung der Nationalen Einheit“ treffen. Die 21 Parteien konnten so am Mittwoch doch noch die 158seitige Übergangsverfassung verabschieden.

Im Mai 1992 hatten sich die Gespräche schon einmal am gleichen Punkt festgefahren. Diesmal drehte sich der Streit um fünf Prozent. In Sicherheitsfragen und bei Finanzbelangen sollten nach ANC- und Regierungsmeinung 60 Prozent der Kabinettsminister zustimmen müssen. Alle anderen Belange wollte der ANC mit 50 Prozent, die weiße Minderheitsregierung mit 55 Prozent beschließen. Der Hintergrund: Die Regierung wird prozentual aus allen Parteien zusammengesetzt, die bei den Wahlen am 27. April nächsten Jahres mehr als fünf Prozent der Stimmen erhalten.

Die Regierung de Klerk versuchte bis zuletzt, es dem ANC unmöglich zu machen, Entscheidungen im Alleingang zu treffen. Beobachter glaubten, daß dies mit harscher Kritik aus dem Regierungslager an de Klerks Unterhändler Roelf Meyer zusammenhing. Im war vorgeworfen worden, gegenüber dem ANC eingeknickt zu sein.

Diplomaten stellten sich ohnehin die Frage, wie lange der Verhandlungsabschluß gültig sein wird. Inkatha und ihre Verbündeten in der sogenannten Freiheitsallianz, darunter die rechtsradikale Afrikaaner Volksfront, hatten die Verhandlungen verlassen. Staatspräsident Frederik W. de Klerk hatte daraufhin noch am Dienstag erklärt: „Wir werden trotz des Widerstands der Freiheitsallianz weitermachen. Aber die Tür wird morgen und übermorgen immer noch offenstehen.“ Sollte die Gruppierung aus rechtsgerichteten weißen Parteien und einigen Homeland-Führungen an den Verhandlungstisch zurückkehren, würde dies möglicherweise bedeuten, daß alle Verfassungsartikel noch einmal diskutiert werden. Die „Freiheitsallianz“ hatte weitgehende Autonomie-Regelungen für die zukünftigen Regionen Südafrikas gefordert, darunter das Recht, regionale Steuern zu erheben. Mandela hatte die Foderung jedoch zurückgewiesen und erklärt, der ANC habe bereits genug Zugeständnisse gemacht.

Vorläufig sieht der weitere Demokratisierungsfahrplan so aus: Am kommenden Montag wird das weiße Minderheitsparlament zu einer mehrwöchigen Sondersitzung zusammentreten und alle Verhandlungsbeschlüsse ratifizieren. In der ersten Dezemberwoche wird dann der TEC genannte Übergangsrat sein Amt übernehmen und Südafrika verwalten, bis am 27. April 1994 die ersten allgemeinen Wahlen in der Geschichte Südafrikas stattfinden. Willi Germund

Tagesthema Seite 3, Interview Seite 10