Sanssouci
: Nachschlag

■ Bergopfer: Dirk Szuszies "Normal Null" im Zata Theater

In der antiken Mythologie stand er für das Weltzentrum, Treffpunkt von Himmel und Erde, Wohnstatt der Götter. Später verkörperte er Beständigkeit, Ewigkeit, Festigkeit, Ruhe. Er hortete sagenumwobene Geschichten, förderte den Aberglauben und – mußte bezwungen werden: der Berg. Heute beten ihn Touristikunternehmen an, erschließen ihn mit Seilbahnen, Liften, Würstchenbuden und fördern ein anachronistisches, falsches Sentiment à la Luis Trenker oder – moderner – Reinhold Messner.

Aber der Sieg über die Naturgewalt ist trügerisch: Unzählige fallen immer wieder Lawinen oder einem plötzlichen Kälteeinbruch zum Opfer. Vielleicht sind es ja sündige Seelen, die im ewigen Eis des Gletschers büßen müssen und Sorglose ins Verderben ziehen. Hier beginnt die Geschichte von Dirk Szuszies, Autor und Regisseur des Zata Theaters. In „Normal Null“ läßt er ruhelose Seelen, Shakespeares Hexen gleich, zu Beginn einen Fluch aussprechen, der eine Gruppe bunt zusammengewürfelter Amateur-Kraxler in alle Ewigkeit verdammen wird.

So mythologisch die Geschichte beginnt, so bodenständig wird sie fortgeführt. Es ist schon ein merkwürdiges Häufchen Menschen, welches Bergführer Xaver Volken (Oliver Peuker) da sicher zum Gipfel geleiten soll: die sportbegeisterte Sophie (Karin Kaper), die verwöhnte Golferin Christine (Elke Büttgenbach) plus Balljungen (Mustafa Sisman), die erfolglose Journalistin Bianca (Nicole Becker), die Esoterik- und New-Age-besessene Anne (Manuela Winckler) und der hibbelige, nur in Büchern und Zitaten lebende Albrecht Abendruh (Ari Gosch). Jeder von ihnen hat eigene Gründe, den Berg zu besteigen, die aber alle weniger mit dem Berg zu tun haben als mit dem Wunsch, dem Alltag in der Stadt zu entfliehen. Und so entpuppt sich denn der launenhafte Aufstieg als ungeahnte Strapaze, die nicht zusammenschweißt, sondern Unterschiede zementiert. Auch Xaver tut nur seinen Job, bleibt kurz angebunden bis unfreundlich, aber als – wenn auch funktionalisierter – Naturbursche hört er noch am ehesten auf die Warnsignale des Berges. Nachts erscheinen ihm die toten Seelen und ihr Fluch. Traum oder Realität? Auf jeden Fall reicht es, um ihn und seine Gruppe aus der einstürzenden Hütte zu retten. Es reicht jedoch nicht mehr für den gefahrvollen Abstieg. Der Gletscher fordert neue Opfer ein.

Dirk Szuszies läßt in „Normal Null“ Assoziationen ineinandergreifen, die sich letztendlich aber doch zu einer Geschichte formen. Das funktioniert nicht an jeder Stelle, was an den sehr klischeehaft geschnitzten Figuren liegen mag, die jede Identifikationsmöglichkeit verweigern und damit auch ihre Angst nicht auf den Zuschauer übertragen können. Ausgleichend wirken gelungene Szenen wie die, wenn die bildlich aneinandergekettete Gemeinschaft im Kreis läuft wie Sträflinge im Arbeitslager. Und außerdem kann man sich, wie schon seit mindestens drei Produktionen bei Zata, an einem homogenen Ensemble erfreuen, das sich spielfreudig und risikobereit auf neue Stücke stürzt. Anja Poschen

Weitere Vorstellungen: Bis 20.12., Donnerstag bis Montag, 20.30 Uhr, im Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße 16.