Knöfel à gogo

■ Ortsbesichtigung: Die Galerie Wohnmaschine

„Anfang 90 ging alles“, sagt der Galerist Friedrich Loock heute und grinst. „Die Wohnung über uns stand leer, also haben wir mit einem Loch in der Decke und einer Wendeltreppe expandiert.“ Im Chaos habe die Wohnungsbaugesellschaft keinen Überblick gehabt. „Später brauchte ich noch einen Eingang zur Auguststraße. Also habe ich mir mit einem Vorschlaghammer und etwas Beton für die Treppe einen verschafft.“

Jetzt feiert Loock seine fünfzigste Ausstellung und das fünfjährige Jubiläum der Wohnmaschine im Berliner Scheunenviertel. Angefangen hatte alles 1988 in Loocks Wohnzimmer in der Tucholskystraße. Damals war er zwanzig, und gemeinsam mit seiner Freundin Michaela Irmscher tüftelte er eine Idee aus, wie der staatliche Meldezwang von Galerien wohl zu umgehen sei. Zu jener Zeit war Michaela Ankleiderin beim Berliner Ensemble und Friedrich Tischler am Maxim Gorki Theater, mittwochs und sonntags war Besuchszeit. Der Stasi waren sie meist suspekt. „Hätte die Westpresse vorher über uns geschrieben, wäre wohl alles vorbei gewesen wegen unerlaubter Kontakte.“ Wenn sie geöffnet hatten, stand Friedrichs altes Fahrrad neben der Eingangstür, daran war ein altes Schild befestigt: „Wohnmaschine, Malerei und Grafik“ – „Wohnmaschine“ als Hommage an den Bauhausmeister Le Corbusier. „Damals gab's ja nichts hier, da standen fünf Autos und drei Touristen in der Tucholskystraße herum.“

Zu Beginn der Neunziger vermehrten sich die Galerien wie durch Zellteilung, gehalten haben sich aber nur wenige. Die Nachbarschaft zur Galerie eigen + art des Leipzigers Harry Lybke schätzt Friedrich jedoch: „Ein bißchen fühle ich mich wie der Zweitgeborene. Im Gegensatz zu mir ist Harry ein alter Hase.“ Die Wohnmaschine wachse eben schneller an der Herausforderung, sich nicht von fremden Konzepten leiten zu lassen.

Im Pressearchiv sammelten sich nach fünf Jahren Berichte von der taz bis Wall Street Journal – aber Friedrich bleibt gelassen und gibt sich locker.

Gern plaudert er über seine Arbeit und erzählt von seiner ersten Kunstmesse, 1992, in Frankfurt. „Ich hatte ja überhaupt keine Ahnung, was man da macht, was das soll und wie man sich da benimmt. Die Wohnmaschine ist einfach mit Arbeiten von York Dem Knöfel dahin.“ Knöfel und Loock kennen sich schon ewig, und es war klar, daß die fünfzigste Ausstellung Knöfels neueste Installationen, Ölbilder und Zeichnungen, zeigt. Zuletzt leistete Loock sich im Sommer 92 den Luxus, Knöfels Installationen unter dem Motto „Kreisende Bewegung über dem Atlantischen Ozean“ einen Monat lang in der Wohnmaschine zu zeigen. Luxus, weil Installationen kaum verkäuflich sind. Loock geht es aber um Kunst, und gerade Knöfels Arbeiten sind stark von der zeitgenössischen Entwicklung geprägt. Anfangs ging Knöfel mit Fotografien an die Öffentlichkeit. Er preßte sie in ein aufwendiges Metallplattenlabyrinth, und der so entstandene Schlachthof beließ es beim Streifzug über die Schrottplätze der Moderne. In Frankfurt erregten Loock und sein Knöfel mit spätexpressionistischen Figurenreigen Aufsehen. Knöfels großformatige Malerei beanspruchte den vollen Raum, um ihre ganze Widerspruchssucht auszutragen.

Loock ließ ihn machen, und Knöfels Ölbilder befreiten sich aus der Gegenständlichkeit. In der Joachimstraße 11 hat Loock für die riesigen Arbeiten eine Fabriketage gemietet. Naß in Naß sind die Farbmassen auf die Leinwand geschichtet, eher gestisch als konzeptionell. Knöfel hat auf dem Boden gemalt, sonst wäre die Farbe tatsächlich gleich wieder vom Bild gesplattert. Denn die dicke Ölschicht braucht fürs erste Trocknen ein paar Monate, durchgetrocknet werden sie aber erst in zehn Jahren sein.

Eingearbeitete Holzspäne strukturieren die Oberfläche picklig-pockig, und die Farbkomposition ist bei Knöfels größtem Bild so warm und harmonisch, daß es ohne weiteres „Marocco“ heißen könnte. Wahrscheinlich hatten die älteren Arbeiten im richtigen Moment mit der Reduktion aufgehört, denn die neue Serie spielt mit Grundfarben und versucht eine perfekte Anlehnung an japanische Kalligraphie.

Die in der Tucholskystraße gezeigten Installationen dokumentieren, daß Knöfel zwar auf dem richtigen Weg, allerdings noch nicht ganz frei von der Symmetrie ist. Aus Lautsprechern tönt dazu ein Mix aus „Ode an die Freude“ und „Bonanza“, die für Knöfel unvermeidlichen Eier stehen diesmal in Aquarien herum. Fernando Offermann

Die Wohnmaschine zeigt bis zum 27.11. Installationen, Ölbilder und Zeichnungen von York Dem Knöfel in der Tucholskystraße 34 und der Joachimstraße 11 in Mitte bzw. Charlottenburg. Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 11–14 Uhr.